
Ulrich Eicke
*1952
Olympiasieger im Einer-Canadier 1984
Ulrich Eicke, geboren in Wuppertal, ist eine vielseitige Persönlichkeit: Ehemaliger Weltklasse-Canadierfahrer, Schlagerstar und Leiter eines Olympiastützpunkts. Nach seinem Sportstudium an der Sporthochschule Köln, einem Lehramtsstudium für Mathematik und der Tätigkeit als Lehrer widmete er sich der Naturheilkunde und arbeitet heute als praktizierender Heilpraktiker.
Kurzbiografie
- Geboren 1952 in Wuppertal
- 1963-1968 Realschule Wuppertal
- 1966-1973 Wuppertaler Kanu Club
- 1968-1971 Ausbildung bei den Stadtwerken Wuppertal
- 1971-1972 Fachoberschule Wuppertal
- 1973-1978 Sportstudium an der Sporthochschule in Köln
- 1974 WSV Rheintreue Düsseldorf
- 1977 2. Platz bei Weltmeisterschaften über 500 m im Einer-Canadier
- 1978-1984 Studium Mathermatik, Lehramt Sek I und II an der Uni Wuppertal
- 1979 2. Platz bei Weltmeisterschaften über 500 m im Einer-Canadier
- 1982-1992 Mitglied im Beirat der Aktiven Athleten
- 1984 Olympische Spiele in Los Angeles, Goldmedaille über 1000 m im Einer-Canadier
- 1984-1991 Sprecher der Aktiven in DSB und NOK
- 1985 2. Platz bei Weltmeisterschaften über 1000 m im Einer-Canadier
- 1987-1995 Olympiastützpunktsleiter OSP Köln/ Bonn/ Leverkusen (heute Rheinland)
- 1995-2008 Lehrer an der Theodor-Litt-Realschule Düsseldorf (Mathe und Sport)
- Seit 2006 Heilpraktiker
Ulrich Eicke über …
Damals war es ja die Volksschule, heute ist das die Grundschule. Sport gab es kaum. Ab und zu wurde in der Turnhalle ein Kreis gemacht, mit ein bisschen Tanz oder Ähnlichem. Unsere Klassenlehrerin war eher auf Spiel, Musik und Tanz orientiert.
In der Realschule sah das dann anders aus – von Laufen über Geräteturnen bis hin zu den klassischen Sportarten wurde alles thematisiert. Der Sportunterricht fand ein- bis zweimal pro Woche statt und war durchaus intensiv. Besonders Leichtathletik und Laufen waren fordernd. So erinnere ich mich an die 1950er- und 60er-Jahre.
Als ich selbst Lehrer war, gab es die wöchentliche Doppelstunde Sport und gelegentlich eine zusätzliche Einzelstunde. Die damaligen Richtlinien legten den Fokus mehr auf Spiel und Spaß – das entsprach nicht meiner Linie. Ich habe diese Vorgaben, ehrlich gesagt, ignoriert und stattdessen die vier Grundsportarten sowie Geräteturnen unterrichtet. Besonders wichtig war mir, dass die Schüler einen Bezug zum Ausdauertraining bekamen – aus gesundheitlichen Gründen. Das kam bei ihnen allerdings nicht immer gut an, weil sie lieber mehr Spaß gehabt hätten.
Zum Beispiel gab es eine Richtlinie fürs Schwimmbad, die vorsah, dass die Schüler auf Flößen durch die Halle fahren. Das war nicht mein Gebiet – sie sollten schwimmen lernen, und zwar möglichst alle vier Lagen oder zumindest drei davon. Also habe ich meinen eigenen Rhythmus durchgezogen, ohne groß aufzufallen.
Ich war aber in erster Linie Mathematiklehrer – das stand für mich im Vordergrund. Mathematik erschien mir persönlich immer wichtiger als Sport.“
„Meine Großeltern hatten sich schon selbst ein Faltboot gebaut. In unserer Familie gibt es sogar ein historisches Foto, das sie zusammen mit meinem Vater und meiner Tante in einem Boot auf dem Beyenburger Stausee zeigt. Diese Leidenschaft hat sich bis heute fortgesetzt – mittlerweile in der dritten Generation. Meine Eltern waren ebenfalls Mitglied im Kanuverein VFK Wuppertal, und so bin ich in dieser Umgebung groß geworden. Ich lief im Bootsschuppen herum, kletterte in die Boote und wartete sehnsüchtig darauf, endlich alt genug zu sein, um selbst paddeln zu dürfen.
Mit 13 Jahren fühlte ich mich soweit und ging zum Verein. Doch mittlerweile waren meine Eltern nicht mehr aktiv im Kanusport. Als ich sonntags dort ankam, traf ich auf eine Runde älterer Herren. Einer fragte mich: „Wie alt bist du denn?“ – „13“, antwortete ich stolz. Doch die ernüchternde Antwort lautete: „Das ist zu jung. Komm nächstes Jahr wieder.“
So musste ich mich ein weiteres Jahr gedulden. Mit 14 durfte ich schließlich als aktiver Sportler in den Verein eintreten. Allerdings war das Paddeln alleine aus Sicherheitsgründen verboten. Da es keinen Trainer gab, musste ich mir das Boot heimlich rausholen und trainieren, wenn niemand da war.
Die Altersgrenze war eine alte Tradition im Verein. Andere Sportarten wie Fußball waren für mich keine Option – da wurde ich entweder nicht gewählt oder direkt wieder aussortiert. Der Kanusport hingegen hat mich von Anfang an fasziniert. Später gab es dann im Verein feste Trainingszeiten, und es wurde auch im Mannschaftsboot trainiert – einem Achter. Das war ideal, um die Technik gefahrlos zu erlernen. Mit acht Leuten im Boot wurde das Sonntagstraining oft zu einer lustigen Angelegenheit.“
„Das Thema meiner Diplomarbeit an der Sporthochschule war die Biomechanik im Einer-Canadier. Die damals vorherrschende Lehrmeinung, die auch in Fachbüchern nachzulesen war, besagte, dass das Paddel möglichst senkrecht ins Wasser eintauchen, in Richtung der Wasserlinie nach hinten bewegt und dann ebenso senkrecht wieder aus dem Wasser genommen werden sollte. Der Grund für diese Annahme lag in der Minimierung von Kraftverlusten durch ungünstige Vektoren – der Vortrieb sollte optimal in Bootsrichtung wirken.
Im Rahmen meiner Diplomarbeit kam ich jedoch zu einer anderen Erkenntnis, die meine eigene Auffassung bestätigte: Das Boot wird genau in dem Moment beschleunigt, in dem das Paddel mit einem Anstellwinkel ins Wasser eintaucht. Dieser Effekt wird als Lifteffekt bezeichnet. Dabei bewegt sich das Paddel senkrecht nach unten, während das Boot waagerecht nach vorne gleitet. Ein vergleichbares Prinzip findet sich in der Luftfahrt: Beim Flugzeug sorgt der Anstellwinkel der Tragflächen für Auftrieb, obwohl die Bewegungsrichtung nach vorne zeigt.
Die Messdaten meiner Diplomarbeit belegten eindeutig, dass das Boot genau in dem Moment beschleunigt, in dem das Paddel ins Wasser eintaucht – quasi “abschießt”. Diese Erkenntnis führte dazu, dass ich mich gezielt mit diesem technischen Effekt auseinandersetzte, anstatt der damals verbreiteten Lehrmeinung zu folgen. Denn wenn man versucht, das Paddel exakt senkrecht zu bewegen, entsteht kaum Vortrieb.
Meine Diplomarbeit schrieb ich 1978, und diese Erkenntnisse stellten bereits eine Weiterentwicklung dar. Ein weiterer Fortschritt ergab sich, als ich mit Hermann Glaser, ebenfalls ein Kanadier-Fahrer und Linksfahrer (was im Zweier-Kanadier von Vorteil ist, da einer rechts und einer links paddeln muss), zusammen trainierte. Seine Technik half mir enorm weiter – insbesondere bei der Frage:
Wie hebe ich das Paddel richtig aus dem Wasser, und wie bringe ich das Boot optimal wieder in die gewünschte Richtung?
Diese Frage führt auch zu einem besonderen Gegenstand, den ich heute mitgebracht habe. Es ist kein Spaten, sondern ein Paddel – ein besonderes Modell, das mir ein russischer Sportler freundlicherweise verkauft hat.“
„Es wird oft gesagt, dass Spitzensportler durch ihre leistungsorientierte Einstellung auch im Berufsleben oder im Leben allgemein einen besonderen Status erreichen. Das kann ich für mich jedoch nicht bestätigen. Der Sport war das eine – Beruf und das Leben danach waren irgendwie etwas anderes. Natürlich lässt sich das nicht ganz voneinander trennen, aber eine direkte Verbindung sehe ich nicht.
Wenn ich zurückblicke, dann stehen für mich nicht die Entbehrungen im Vordergrund, sondern der Spaß. Der Sport war mein Leben. Ein Journalist fragte mich einmal nach meinem Olympiasieg, ob ich es nicht bedauere, kein Tennis gespielt zu haben – schließlich wurde Boris Becker in dieser Zeit erfolgreich und reich. Meine Antwort kam ganz spontan: ‚Das Kanufahren steckt in mir, das musste raus. Mit Tennis habe ich nichts am Hut.‘
Durch den Olympiasieg ergaben sich zwar einige Einnahmen – etwas, das 20 Jahre lang im Kanusport nicht der Fall war. Aber viel Geld spielte für mich nie eine Rolle. Ich war dann der Olympiasieger, der Gitarre spielen und singen konnte. Dadurch wurde ich zu Sportpressefesten und Vereinsfeiern eingeladen, wo ich für ein paar Mark ein Lied spielte. Über die Zeit hat sich das ganz schön summiert.
Mein späterer Job als Olympiastützpunktleiter ergab sich letztlich doch aus meiner sportlichen Laufbahn. Ohne meine Erfolge wäre ich wohl nicht an diese Position gekommen. Dabei hat sich auch Josef Neckermann stark für mich eingesetzt. Er führte ein ernstes Gespräch mit dem damaligen Vorstandsmitglied von Bayer Leverkusen, Herrn Becker. Daraufhin sorgte dieser dafür, dass ich zunächst über Bayer finanziert wurde, um am Olympiastützpunkt als Olympiastützpunktleiter zu arbeiten.“
„Ich erinnere mich an Sitzungen der Deutschen Sporthilfe und des Gutachterausschusses. Sie waren immer sehr daran interessiert, welche beruflichen Perspektiven die jeweiligen Sportler verfolgten – und machten ihre Förderung teilweise davon abhängig.
Ich wurde als Athlet selbst gefragt: ‚Jetzt bist du Diplomsportlehrer. Was machst du denn jetzt aus deinem Leben?‘
Meine Antwort war klar: ‚Nein, das war nicht mein Berufsziel. Ich möchte Lehrer werden und studiere deshalb noch Mathematik.‘
Daraufhin hieß es: ‚Ja, dann ist alles gut. Dann darfst du weiterhin Sporthilfe beziehen.‘
Dass die berufliche Zukunft von Sportlern so professionell begleitet wurde, war eine neue Idee der Olympiastützpunkte, die erstmals einen professionellen Laufbahnberater einführten.
Von den Trainern und Vereinsvertretern wurde das allerdings nicht immer positiv aufgenommen. Dass Sportler parallel zum Training ihre berufliche Laufbahn oder ihr Studium verfolgten, empfanden manche als Störfaktor für die sportliche Karriere. Das galt nicht für alle, aber für einige.
Viele Sportler – besonders in weniger lukrativen Sportarten – waren jedoch sehr an dieser Unterstützung interessiert. Während man in der Leichtathletik schon Geld verdienen konnte, sah es in Sportarten wie Fechten, Schwimmen oder Rudern anders aus. Dort war das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer beruflichen Absicherung deutlich ausgeprägter, und die Hilfe der Sporthilfe wurde gerne angenommen.
Einen direkten Druck auf Erfolge und Medaillen habe ich persönlich nie verspürt. Natürlich halfen Olympiasiege – sie wurden bei der Sportförderung und vor allem bei Sponsorenverhandlungen als Argument genutzt. Der Deutsche Sportbund sah sportliche Erfolge gerne, aber ich habe nie erlebt, dass die Förderungswürdigkeit direkt an Medaillen geknüpft war.“