Thomas und Andreas Steinmeier
*1958
Weltmeisterliches Radball-Duo
Die Zwillinge Andreas und Thomas Steinmeier zählten in den 1980er und 1990er Jahren zur Elite des internationalen Radballsports: Drei WM- und vier Europapokaltitel stehen auf dem Erfolgskonto der gebürtigen Liemer, die sich im Duett auch acht nationale Meisterschaften erspielten.
Kurzbiografie
- Geboren 1958 in Lemgo-Lieme
- 1970 Eintritt in den Verein RSV „Tempo“ Lieme
- 1975 Deutsche Jugendmeister
- 1976 Jugend-Europapokalsieger
- 1980-1984 Andreas studiert an der Fachhochschule Lippe mit dem Abschluss zum Diplom-Betriebswirt – sein Bruder Thomas besucht die DSHS Köln mit dem Abschluss zum Diplomsportlehrer
- Zwischen 1981 und 1994 – 6x Bundespokal-Sieger
- Zwischen 1982 und 1995 – 8x Deutscher Meister
- 1982, 1983 und 1990 Weltmeister
- 1984, 1986, 1990 und 1992 Europapokal-Sieger
- 2015-2020 Bankhaus Lampe in Frankfurt (Andreas)
- 2017-heute Key Account Manager bei KAM Experts (Thomas)
Thomas und Andreas Steinmeier über …
Andreas Steinmeier (AS): „Was wir wahrgenommen haben, das war die Unterstützung des Vereins. Wir waren nicht arm, kamen aber aus bescheidenen Verhältnissen. Viele Leute aus dem Verein haben uns zu den Sportveranstaltungen gefahren. Radball ist ja keine Sportart, die von Dorf zu Dorf gespielt wird. Man fährt auch schon mal 100 oder 200 Kilometer. Viele aus dem Verein haben sich sehr für uns engagiert.
Das Soziale war natürlich sehr ausgeprägt in einem so kleinen Verein in Lemgo-Lieme. Der Verein selbst wurde 1910 gegründet und in den 60er-/70er- und 80er-Jahren hat man sich dann ausschließlich auf Hallenradsport konzentriert. Auf der einen Seite Radball, und Radkunstfahren auf der anderen Seite. Das Vereinsleben hat uns zu dieser Zeit sehr geprägt.
Thomas Steinmeier (TS): Die Leistungsorientierung ist im Sport auch ein großes Thema gewesen. Man merkt dann, dass es gut klappt mit dieser Sportart. Dann möchte man auch gegen die anderen Spielen und auch mal ein Radballspiel gewinnen. Diese Leistungsmotivation spielt im Sport eine große Rolle, aber das ist es eben nicht alleine. Wenn man aus so einer Vereinsumgebung kommt wie dem Radsportverein ‚Tempo‘ Lieme, dann bekommt man ja auch mit, dass es mal soziale Spannungen gibt. Vielleich wurde etwas gestohlen aus dem Umkleideraum oder dass es dem einem vielleicht mal nicht so gut geht, weil die Eltern die Reise nicht finanzieren können. Man bekommt in dieser Zeit auch eine ganz starke soziale Prägung. Später, im beruflichen Leben merkt man, dass man so eine Leistungsorientierung hat. Das erfährt man auch bei anderen Kollegen, die aus Sportvereinen kommen. Die haben auch eine Teamorientierung, denn die können ja auch im Training ohne den Gegner zu Hause gar nicht vernünftig trainieren. Denn beides spielt eine große Rolle. Das ist eine Prägung, an die man sich erinnert und die man dann hinterher verinnerlicht.“
AS: „Wie spielt man Radball? Durch diesen gebogenen Lenker nach vorne und durch die Bewegung des Lenkers in eine Richtung, bewegt sich natürlich auch das Vorderrad in die eine oder andere Richtung. Man schießt, indem man das Lenkrad ruckartig bewegt und mit dem Pedal tritt und so nach vorne Druck bringt. Das sorgt dafür, dass so ein Radball mit 80 km/h fliegt. Es ist nicht so schnell wie ein Fußball oder Handball. Es ist aber auch ein wesentlich kleineres Sportfeld. Es ist 14 Meter lang und elf Meter breit. Es spielen zwei Mannschaften gegeneinander, jeweils zwei Personen. Der Radball ist etwas kleiner als ein Handball. Aber erheblich schwerer und er ist ausgestopft. Wenn man diesen Ball dann aus der optimalen Schußentfernung, die 3,50 Meter betrifft, mit 80 km/h abbekommt, dann ist das nicht schön. Da fällt man auch schon mal vom Rad. Dieser Ball hat dann eine unglaubliche Wucht, er springt ja auch kaum hoch, wenn man ihn fallen lässt.
Es dauert für einen elf- bis zwölfjährigen Jungen wenigstens zwei Jahre, bis er endlich in der Lage ist, ein Spiel gegen einen Gegner zu führen, wo nicht alle sagen: ‚Wie schrecklich ist das denn?‘ Das heißt, man muss den Ball schießen, den Ball bewegen und bloß nicht vom Rad fallen, das ist die hohe Kunst.
Es gibt nicht viele Menschen auf der Welt, die häufiger vom Rad gefallen sind als wir beide. Man stürzt sehr viel. Aber was Radball ausmacht, sind Geschwindigkeit und Technik. Man muss sich klar werden, dass die Spieldauer zweimal sieben Minuten beträgt. Und dann ist man völlig erschöpft. Es ist physisch kaum möglich, mehr als vier-fünf konzentrierte Radballspiele an einem Tag zu machen, obwohl die Spielzeit nur zweimal sieben Minuten ist. Das macht den Sport für mich aus. Und natürlich ist es als Mannschaftssport sehr anspruchsvoll. Es macht aber auch sehr viel Spaß.
TS: Es ist hart, es ist ruppig, es gibt auch Kontakte. Man ist permanent im Kontakt mit dem Gegner. Eishockey ist vielleicht auch von seiner Ruppigkeit ähnlich, es ist auch sehr komplex. Es braucht natürlich auch eine gute Vereinssituation, dass man das durchhält. Aber wenn man es dann mal angefangen hat, kommt man schlecht wieder davon los, dann ist man infiziert.“
TS: „Radball wurde damals schon als Randsportart bezeichnet und das ist es auch geblieben. Es hat mich immer sehr verbittert, dass es nie olympisch geworden ist.
Auch in der Zeit, als Olympia noch Amateursport war. Das kam erst in den 80er-Jahren, als das komplett kommerzialisiert worden ist. Früher hieß es: Die Jugend der Welt trifft sich – und es waren Amateure. Dann kam dieser Wettkampf mit diesen unsäglichen Medaillenlisten, dass der Osten eben da besser war. Und dann wollte der Westen mit Steffi Graf, Boris Becker und mit dem Fußball auch hinterher. Früher war Olympia ein Festival der Amateure und Radball war auch immer ein Amateursport und ist es heute auch geblieben.
Der besondere Vorteil von diesem Amateurstatus sind die intensiven Beziehungen zu Sportlern aus dem Ausland. Der Nachteil ist, dass es eben kommerziell nicht so viel bringt.
Das ist eine Sportart, da geht es nicht um Millionen, sondern um den Sport. Da geht es auch ein bisschen um die Ehre oder das Gesicht, was man verlieren könnte. Da geht es aber auch darum, dass man abends zusammen feiert. Wir haben heute noch mit Sportlern aus Österreich, der Schweiz oder dem Schwarzwald kontakt. Mit denen gehen wir immer noch zusammen Ski fahren. Eigentlich sind es Gegner gewesen, die wir auf dem Radballfeld kennengelernt haben, wo die Beziehung so intensiv geworden sind, dass man nach vielen Jahren sagt: ‚Lass uns doch mal einmal im Jahr treffen. Wir gehen mal drei Tage Skilaufen ins Montafon.‘ Und diese Freundschaften, die haben den einzigen Hintergrund, dass wir uns im sportlichen Bereich miteinander auseinandergesetzt haben. Vielleicht ist das ein Vorteil gegenüber den kommerziell so interessanten Sportarten.“
AS: „Mitte der Achtziger wurde auch Hallenradsport relativ häufig im Fernsehen gezeigt. Das hat damit zu tun gehabt, dass die dominierende Mannschaft der Welt das lange Zeit ungeschlagene tschechische Brüderpaar war, was wir in Wiesbaden 1982 bei der Weltmeisterschaft geschlagen haben. Es gab damals noch die Blöcke – den Ostblock und den Westblock. Das war halt für bestimmte Zeitgenossen besonders wichtig, dass man gegen den Ostblock gewonnen hat. Das Verrückte ist nur, wenn wir in der Tschechoslowakei gespielt haben, dann gab es von uns nur Sympathie für die Sportler aus der Tschechoslowakei und auch gegenüber der DDR-Sportler, die wir da kennengelernt haben. Da musste man auch mal einen Vorhang ziehen, da gab es schon Aufpasser. Das war seinerzeit halt so. Aber die Freundschaft mit diesen Sportlern, die ja auf dem Sportfeld immer unsere Gegner waren, die war schon da – und wir haben schöne Partys gefeiert.
TS: Ich kann mich noch erinnern, da war ich bei der Bundeswehr in der Sportfördergruppe in Mainz und in der Grundausbildung in Wolfhagen. Ich war auf einem Länderkampf gegen die Tschechoslowakei und dann wurde ich hinterher vom MAD-Offizier befragt: Was ich denn da gemacht habe, ob ich Kontakte gehabt hätte? Ich sage: ‚Haufenweise. Wir haben gefeiert, ohne Ende!‘
Ob die denn auch beim Militär gewesen sind? ‚Die waren alle beim Militär.‘ Also für mich war diese Beziehung zu den Menschen viel wichtiger. Auch zu den Kollegen aus der DDR, die es ja viel schwieriger hatten. Denn dort haben nicht-olympische Disziplinen nun gar keine Rolle gespielt. Die mussten viel mehr organisieren und das Material beschaffen. Und die hatten trotzdem Topsportler. Ich weiß noch Großkoschen, Senftenberg, da waren Topsportler in der DDR. Die haben wir dann heimlich in der Tschechoslowakei getroffen. Wir hatten ein super Verhältnis zu denen.
Sport war auch immer mit Feiern und mit Fröhlichkeit verbunden. Das ist nicht nur Knechten und Wettkämpfe und Ernsthaftigkeit, das ist auch Lebensqualität. Wir haben das komplett genossen. Die Bedeutung der Medien, die war ja für Radball auch immer begrenzt. Damals haben sich gerade die großen Sender doch sehr stark auf Fußball fokussiert und die Randsportarten wurden aus meiner Sicht relativ vernachlässigt.“
AS: „Der Umstand, dass wir über einen großen Teil unseres Lebens in die gleiche Schule gegangen sind, im gleichen Zimmer gelebt haben, das gleiche Elternhaus und das gleiche Training hatten, führt zu einer gigantischen Rivalität. Und das Verhältnis unter uns beiden war durch diese Umstände entsetzlich. Es war so schlimm, dass der Trainer schreiend rausgelaufen ist: ‚Ich kann diesen Zwiespalt zwischen diesen beiden nicht mehr ertragen!‘
Der ältere Bruder hat dann geschlichtet.
Der Zwist fand nicht nur in der Radballhalle statt, sondern eben auch zu Hause. Der Wettbewerb war extrem hoch und es war schlichtweg unerträglich für viele Beteiligte, auch die Eltern. Das Verrückte ist, dass nach diesem Bruch mit so 35 Jahren, nachdem wir aufgehört hatten, haben wir uns dann überlegt: Vielleicht können wir ja gemeinsam in den Urlaub fahren? Seitdem verbringen wir jeden Sommer gemeinsam, ohne Ausnahme.
TS: Es musste vom Gegeneinander auch zum Miteinander kommen. Und in der Trainingssituation war der Wettkampf schon so stark, wenn der eine etwas besser konnte, dann ließ man das nicht zu. Man versuchte in den nächsten Wochen genau diesen Abstand aufzuholen, den der andere durch seine bessere Leistung dokumentiert hat.
Bei Zwillingen sind ja die Voraussetzungen relativ ähnlich. Und dann ist der Wettkampf im Training natürlich sehr hoch. Um im Wettkampf dann gegen andere zu spielen, musste man schon zumindest aufhören mit Schuldzuweisungen. Da muss man sich fragen: ‚Was ist denn jetzt das gemeinsame Ziel?‘ Bei einer Ballsportart, wo zwei Leute das Spiel gestalten und aufbauen und Spielzüge entwickeln, wo sie anfangen, gemeinsam eine Situation ähnlich zu bewerten, damit man daraus ein Spielzug machen kann, da hat in diesem Moment Zwist natürlich keinen Platz. Das hat dann auch nach einer gewissen Zeit nachgelassen.
Aber das ist keine Kontroverse: Der Wettbewerb untereinander und hinterher gemeinsam den Gegner schlagen. Das ist ja in der Politik auch so. Man braucht die Kontroverse, man braucht den Wettkampf untereinander. Man muss aber irgendwann auch mal das Gehirn einschalten und sagen: ‚Jetzt ist der Gegner nicht mehr mein Partner, sondern es ist der Gegner aus anderen Mannschaften.‘
AS: Also der Wettbewerb unter uns, der war bei Turnieren absolut tabu. Dafür war der Trainer auch viel zu dominant und auch mein ältester Bruder hat Einfluss genommen. Das gab es nach außen natürlich in keiner Weise. Interessant ist auch, dass der nie gesagt hat: ‚Thomas, das hast du scheiße gemacht. Andreas, das ist blöd gelaufen.‘ Der hat immer gesagt: ‚Es gab eine andere Option. Das hätte man auch so machen können.‘ Er hat immer nach vorne geschaut. Heute sieht man noch Trainer, die das Negative rüberbringen. Unser Trainer hat schon vor 30 Jahren ganz klar gesehen: Wenn ich ein Spiel noch beeinflussen will, was nur zweimal sieben Minuten dauert, dann muss ich die motivieren. Da muss ich versuchen, die Schwächen abzustellen und die Stärken zu stärken.
Und das hat er geschafft und er hat überhaupt keinen Streit zwischen uns auf dem Spielfeld zugelassen.
Aber im Training war es entsetzlich.
TS: Aber Ulrich, unser großer Bruder, der hat schon eine Zeit lang hinter dem Tor gestanden und versucht zu vermitteln. Als wir in Straßburg die Europameisterschaft in der Jugend gewonnen haben, war unser großer Bruder dabei, weil der Trainer nicht konnte. Das war die Zeit mit 16/17 Jahren, wo man sich stark gekabbelt hat. Und da hat das schon eine Bedeutung gehabt, wenn der große Bruder hinter dem Tor stand. Er war fünf Jahre älter, eine gewisse Seniorität damals für uns. Er hat schon vermittelt und uns in die richtige Spur gebracht.“