
Hermann-Josef Deutschbein
*1935
Motocross-Idealist der ersten Stunde und langjähriger Streckenkommentator
Als Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des MSC Euenheim prägte er den Motorradsport in Euskirchen und darüber hinaus. Seine Passion fand der Feldwebel der Bundeswehr als Streckensprecher. 800 Rennen und 53 Weltmeisterschaften wurden von ihm moderiert und kommentiert.
Kurzbiografie
- Geboren 1935 in Euenheim (seit 1969 Teil von Euskirchen)
- 1954-1958 Handball (Landesliga) beim FC Euskirchen (heute TSC Euskirchen)
- 1954-heute Gründungsmitglied und Vorstandsarbeit beim MSC Euenheim (u. a. Schriftführer, Vorstandsmitglied)
- 1957 Erwerb der OMK-Lizenz (Oberste Motorradsport-Kommission)
- 1957-1958 Motocross (auch Organisation von Veranstaltungen)
- 1958-1985 Feldwebellaufbahn bei der Luftwaffe in Delmenhorst, Sanitätsausbildung, Luftrettung im Helikopter (bis 1965), Später verantwortlich für Motorräder der Kraftfahrzeugstaffel am Fliegerhorst Nörvenich
- 1963-2008 Vorsitzender des MSC Euenheim
- 1965-1981 Geländesport (Enduro)
- 1970er Referent für den Zweiradsport im DMV
- 1971-1980 Sportkommissar der OMK (später DMSB)
- 1977-2000 Streckensprecher bei 800 Motocross-Rennen, darunter 53 Weltmeisterschaften
- 1979 Teilnahme an der Internationalen Sechstagefahrt (ISDT) in Siegen, Bronzemedaille (175er-Klasse)
- 2019 Teilnehmer beim „Tag der Legenden“ in Reil an der Mosel (ADAC-Event für deutsche Motocross-Helden)
Herman-Josef Deutschbein über …
„Ich habe noch viele Erinnerungen. Ich war damals am Kriegsende neun Jahre alt. Mein Vater war Lehrer in der Dorfschule in Euenheim, und wir hatten die Wohnung oben. Das Militär hatte die Klassenräume leergeräumt und Stroh ausgebreitet. Von dort gingen sie in den Einsatz zur Ardennenoffensive. In dieser Zeit war ich als Junge schon sehr an allem interessiert, was militärisch war und was dort geschah.
Wir wohnten damals in der Dorfschule, und ich saß gerade auf einer Toilette – das waren Plumpsklos. Die feindliche Artillerie schoss auf das Straßenkreuz Frauenberg, und eine fehlgegangene Granate schlug im Schulgarten ein, explodierte und riss mir einen Splitter in die Wange. Den habe ich bis zum heutigen Tag behalten.
Als die Amerikaner einmarschierten, haben mein Bruder und ich Pulver aus Granaten herausmontiert. Das Pulver war in Säckchen verpackt, und es gab große Mengen davon in einer Scheune, die unmittelbar an das Dorf angrenzte. Mit dem Bollerwagen brachten wir die Säcke in die Schultoilette. Mein Bruder stand an der Tür, und ich am Feuer. Ein Säckchen wollte nicht brennen, also hielt ich ein Streichholz daran – und schon ging die ganze Ladung hoch. Mein Oberkörper, meine Kleidung – alles verbrannt. Die Haare waren weg, einfach alles.
Wir hatten Glück, denn es war kein Arzt da. Das Krankenhaus in Euskirchen war ersatzweise auf die Burg Kessenich verlegt worden. Meine Schwester, die älteste von fünf Kindern, brachte uns glücklicherweise ins Nachbardorf Wisskirchen. Dort hatten die amerikanischen Truppen eine Fahrzeughalle einer Firma als Lazarett umgebaut. Dort wurden wir behandelt. Ich weiß nicht mehr genau, ob es drei oder vier Tage waren, die wir dort verbrachten, aber wir hatten furchtbare Angst vor den ersten afroamerikanischen Soldaten – doch es stellte sich heraus, dass sie die nettesten Menschen waren, die wir kennengelernt hatten.
Sie gaben uns Schokolade und Süßigkeiten, aber wir konnten sie nicht essen, weil wir vom Kopf bis zur Hüfte vollständig verbunden waren. Nachdem wir aus dem Lazarett entlassen wurden, kümmerte sich meine Tante um uns. Sie war Hebamme und verstand ihr Handwerk nicht nur bei Frauen, sondern auch bei verbrannten Jungen. Sie hat uns dann versorgt.“
„In der Nachbarschaft unseres Wohnhauses lebte ein guter Freund von mir. Der fuhr schon Motorrad – eine Tornax, eine damals bekannte Motorradmarke. Er hatte eine kleine Werkstatt und reparierte auch Motorräder für andere. Ich verbrachte dort jeden Abend meine Zeit. Wenn meine Eltern mich suchten, gingen sie immer zuerst zu ihm in die Hütte. Bei ihm habe ich das Motorradfahren gelernt. Abends fuhren wir mit der Tornax – er als Fahrer, ich hinten drauf – und machten Eifeltouren.
1956 habe ich den Führerschein für Motorräder gemacht und später dann bei der Bundeswehr noch einmal nachgeholt – zusammen mit den Führerscheinen für die Klasse 1, LKW und Omnibusse. Mit Omnibussen bin ich 1.000 Kilometer Stadtfahrt in Köln gefahren, weil mein Fahrlehrer, der den gleichen Dienstgrad hatte wie ich – er war Oberfeldwebel –, meinte: ‚Über Landstraße musst du nicht fahren, das kannst du. Wir fahren in Köln.‘ Und so haben wir 1.000 Kilometer Stadtfahrt mit dem Bus gemacht. Das nur so nebenbei.
Aber zurück zum Motorradsport: Ich habe keine Rennen gewonnen, aber ich bin bei jeder Veranstaltung ins Ziel gekommen. Das war für die Fahrtleiter wichtig – dass ich mich bei der Zeitnahme gemeldet habe. Ich war nie Letzter, aber auch nie Erster. 1979 bin ich die Sechs-Tage-Fahrt im Siegerland aktiv gefahren – jeden Tag 300 Kilometer schwerstes Gelände. Und ich habe mich jeden Tag bei der Fahrtleitung gemeldet, wenn ich ankam.
Das Rennen war eine Weltmeisterschaft. Spitzenfahrer aus England, Belgien und den Niederlanden waren dabei. Aber ich bin jeden Tag ins Ziel gekommen. Und als dann die große Siegerehrung stattfand, hörte ich meinen Namen: ‚Hermann Deutschbein, bitte zur Fahrtleitung!‘ Ich dachte erst: ‚Was erzählen die da? Ich habe doch nichts gewonnen.‘ Doch der Fahrtleiter kannte mich und sagte: ‚Du hast mit deinen 44 Jahren eine starke Leistung vollbracht. Als Anerkennung gebe ich dir eine Goldmedaille und den Wimpel.‘
Und die habe ich mitgebracht. Diese Goldmedaille war für mich unglaublich wertvoll – Sie können sich das gar nicht vorstellen. Ich habe mich darüber genauso gefreut wie heute hier.“
„Dann habe ich den ersten deutschen Meisterschaftslauf in der 125er-Klasse 1990 nach der Wende in Fürstlich Drehna im Spreewald gemacht. Damals gewann der Suzuki-Werksfahrer Pit Breirer, und gesprochen hat Hermann Josef Deutschbein aus Euskirchen. Das war die erste deutsche Meisterschaft in der DDR. Ich glaube, außer mir war kein ‚Wessi‘ im Osten, der dort als Sprecher tätig war.
Ich habe die Weltmeisterschaften dort kommentiert – in Teutschenthal, in Hänchen, in Cottbus. Dort war ich der King. Das war ein unglaubliches Erlebnis. Und dann war ich der erste Veranstalter in Euskirchen, der ehemalige Meister aus der DDR rüberholte. Falk Rudolf – das war der absolute Profi, der Meister in der DDR. Ich habe ihn verpflichtet, zusammen mit ein paar anderen Fahrern aus der DDR, bei unserem Motocross am 1. Mai mitzufahren. Dann habe ich erfahren, dass er leider tödlich verunglückt ist. Er war als Chefmechaniker beim Werksklub Kali Merkers tätig – das war der führende Motorsportclub in der DDR. Dort war er der Chefmonteur. Er kannte sich mit allen Motorrädern aus – mit der C6, mit Simsons und vielen anderen. Er konnte sein Wissen richtig gut weitergeben. Und nebenbei gesagt, er war auch ein ganz lieber Mensch.
Als er erfuhr, dass ich bei der Bundeswehr Stabsfeldwebel war – er hatte in der Nationalen Volksarmee gedient –, haben wir oft gescherzt. Ich sagte immer: ‚Wenn ihr freitags die Bundesrepublik angegriffen hättet, wärt ihr höchstens bis zum Unnaer Kreuz gekommen – dann hättet ihr im Stau gestanden und nicht weiter.‘ Wir haben uns ein bisschen gefrotzelt, aber es war ein schönes, herzliches Verhältnis. Ich war der erste und einzige in Westdeutschland, der nationale Meisterfahrer in Euenheim an den Start gebracht hat.
Ich hatte das Glück, immer Gruppenkommandeure zu haben, die für den Sport empfänglich waren – egal ob es um Fußball, Handball oder Divisionsmeisterschaften in der Leichtathletik ging. Und auch der Motorsport hatte seinen Platz. Ich habe in Bielstein eine Auszeichnung bekommen, die ich heute noch besitze. Die habe ich meinem Kommandeur auf das Pult gestellt – und von da an hatte ich freie Bahn. Ich konnte mittwochs trainieren und fahren.
Wenn ich Weltmeisterschaften gefahren bin, konnte ich während meiner Bundeswehrzeit freitags anreisen – je nachdem, wo das Rennen stattfand. Wenn ich zum Beispiel in die Schweiz fuhr, nach Rotenturm oder Wohlen, wo die großen Veranstalter saßen, dann bekam ich von meinem Kommandeur frei. Ich konnte freitags losfahren und musste erst dienstags wieder zurück sein.
Das waren meine Vorteile – aber nur, weil ich Leistung gebracht habe. Es gab auch Zeitschriften wie ‚Das Heer‘ oder ‚Die Luftwaffe‘, und überall waren Fotos und Berichte über mich – wo ich war und was ich gemacht habe. Das war schön.“
„Wir hatten zu den Belgiern, die lange Besatzungsmacht waren, ein sehr gutes Verhältnis. Das verdanken wir unserem damaligen Geschäftsführer – meinem Freund mit der Tornax. Er war als Chefheizer in der belgischen Kaserne in Euskirchen tätig und schaffte es mit seiner Intelligenz, Kontakte zu den Sportoffizieren an allen Standorten der belgischen Streitkräfte in Nordrhein-Westfalen aufzubauen.
Wir stellten ihnen dann Eintrittskarten zu günstigen Preisen zur Verfügung, und viele Jahre lang nahmen belgische Soldaten, die in Euskirchen stationiert waren, als aktive Fahrer an unseren Motocross-Rennen teil. In Belgien ist Motocross Volkssport – egal, ob in Lommel oder anderswo. Ich persönlich fuhr immer nach Namur. Dort fand ein Motocross-Rennen mitten im Stadtpark statt. Die Fahrer rasten direkt an der Gastronomie vorbei, während die Zuschauer draußen saßen, ihr Bier oder Wasser genossen – nur zwei Meter von der Strecke entfernt. Das wäre in Deutschland undenkbar gewesen, bei uns gab es unzählige Auflagen und Sicherheitsvorschriften.
Bei dieser Gelegenheit habe ich meinen ehemaligen Freund Willi Bauer kennengelernt. Er war der bekannteste Motocross-Fahrer Deutschlands, Weltmeister und Werksfahrer bei Hercules. Er fuhr unter anderem auch in Namur. Ich half ihm damals sogar, sein Motorrad zusammenzuschrauben. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Doch dann passierte das Unglück. Bei einem Weltmeisterschaftslauf in Schottland stürzte er – nicht einmal spektakulär. Er geriet mit dem Vorderrad in ein Sumpfloch, das Hinterrad überschlug sich über ihn, und er war querschnittsgelähmt.
Vor zwei Jahren fand ein Veteranentreffen in Reil an der Mosel statt. Abends gab es einen Empfang in einem Weinfass. Der Bürgermeister wollte eine Festrede halten, aber dazu kam es gar nicht – wir waren so vertieft in unsere Gespräche, tauschten Erinnerungen aus und quatschten die ganze Zeit. Es war wunderschön.
Acht Tage später dann der nächste Schock: Der ehemalige mehrfache deutsche Meister Rolf Diefenbach stürzte mit seinem Motorrad auf der Fahrt nach Österreich. Er rutschte über seine eigene Ölspur, die aus seiner KTM austrat, unter eine Leitplanke – und brach sich das Genick. Das war ein harter Schlag für mich.
Als ich schwer krank war, besuchte Rolf Diefenbach den Jahresabschluss seines Heimatclubs in Schefflenz. Dort fand das Finale der Deutschen Meisterschaft für alle drei Klassen statt. Der große Abschluss war in der Reithalle in Schefflenz. Es war das erste Mal nach meiner schweren Erkrankung, dass ich wieder vor Publikum stand. Meine Frau und mein Bruder hatten mich dorthin gefahren. Als ich auf der Bühne stand, konnte ich nicht anders – ich habe geheult wie ein Schlosshund.
Dann organisierten die Leute eine Sammlung für mich. Ich brauchte das Geld eigentlich nicht und wollte es auch gar nicht annehmen. Aber allein an diesem einen Abend kamen über 5000 DM zusammen. Von diesem Geld habe ich mir einen Ledermantel gekauft. Der hängt heute noch in meinem Schrank.“
„Ich will Ihnen ehrlich sagen: Es hat alles nachgelassen. Die Motocross-Vereine werden heute nur noch von Idealisten geführt – von Leuten wie ihm und mir, die positiv bekloppt waren. So ist es nun mal. Wenn Sie heute jemanden ansprechen und fragen: ‚Willst du bei uns im Klub mitmachen?‘, dann heißt es: ‚Ja, aber nur, wenn ich bei euch trainieren kann.‘
Unsere Rennstrecke liegt am Waldrand, direkt an einem Wohngebiet. Die Stadt hat uns zur Auflage gemacht, dass die Anwohner keine Einwände haben dürfen – wenn es zu sehr staubt oder zu laut wird, wäre die Veranstaltung sofort gestrichen. Aber wir haben es geschafft, die Anwohner auf unsere Seite zu ziehen. Viele von ihnen sind inzwischen sogar Mitglieder bei uns und sitzen vielleicht auch mal im Ehrenwagen.
Trotzdem hat der Sport nachgelassen. Es gibt kaum noch Leute, die sich aus purem Idealismus engagieren. Viele sehen nur den persönlichen Vorteil – sei es, weil sie ein Motorradgeschäft haben oder Motocross-Zubehör verkaufen. Diese Leute gibt es noch, aber echte Idealisten? Die sind selten geworden.
Das bedeutet, dass Motocross im großen Rahmen – bei deutschen Meisterschaften oder in den Klubs, die diese Prädikate austragen – nur noch dort funktioniert, wo es wirtschaftlich und personell machbar ist. Das ist auch der Grund, warum zum Beispiel in Bielstein die Vorstände so häufig gewechselt haben, wie ich meine Hemden wechsle. Da waren gestandene Leute dabei, Juristen, die den Verein geleitet haben. Aber diejenigen, die wirklich malocht haben, die mit Herzblut dabei waren, wurden vor den Kopf gestoßen.
Ein guter Freund von uns, Gerd Vielshöfer aus Bielstein, ist heute Hauptmanager und Rennleiter beim ADAC im Gau Nordrhein und für die Nordrhein-Westfalen-Meisterschaft zuständig. Ich habe ihn damals kennengelernt. Bielstein hat eine anspruchsvolle Strecke mit zwei Kilometern Länge, mit Bergen und steilen Abfahrten. Das Gelände wurde einst von wohlhabenden Sportbegeisterten gekauft, die den Motocross-Sport unterstützen wollten. Heute gehört das Waldgelände zu zwei Dritteln dem MSC Bielstein. Aber das Haus, das dort gebaut wurde, unterliegt hohen Steuerauflagen.
Und dann das größte Problem: Sie dürfen nur an drei Tagen im Jahr Krach machen! Direkt gegenüber liegt eine Siedlung, und sobald außerhalb dieser genehmigten Zeiten trainiert wird, hagelt es Beschwerden. Nur wenn eine Weltmeisterschaft stattfindet, wird eine Ausnahme gemacht – dann beginnt der Lärm bereits am Freitag.
Das gilt für ganz Nordrhein-Westfalen. Viele Clubs existieren nur noch, weil es ein paar Leute gibt, die den wirtschaftlichen oder materiellen Vorteil darin sehen. Und dann gibt es noch die Idealisten. Aber die sind sehr dünn gesät. Zu denen zählen wir beide auch.“