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Claudia Neumann

*1964
Im Jahr 2011 Erste Live-Kommentatorin bei einer Fußballweltmeisterschaft der Frauen.

Als Kind kickte sie mit den Jungs in der Provinz des Rhein-Sieg-Kreises. Schon früh war klar: Ihre Berufung ist der Sportjournalismus. Über verschiedene Stationen im Privatfernsehen führte ihr Weg schließlich zum ZDF.  Dort schrieb Claudia Neumann Geschichte in der deutschsprachigen (Live-)Sportberichterstattung.

Kurzbiografie

  • Geboren 1964 in Düren
  • 1984 Abitur am Antoniuskolleg Neunkirchen (in Neunkirchen-Seelscheid)
  • 1986-1992 Magisterstudium der Fächer Germanistik, Pädagogik und Sport an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
  • 1991-1992 Hospitanz bei RTL-plus mit sich anschließender freier Mitarbeiterschaft (unter Ulli Potofski)
  • 1992-1999 Redakteurin und Reporterin bei 1. Fachbereiche: Fußball, Radsport und Tennis (u. a. Berichterstattung vom Turnier in Wimbledon
  • Seit 1999 Redakteurin und Reporterin in der Hauptredaktion Sport des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF)
  • Seit 2000 Für das ZDF Berichterstattung / Live-Reporterin (Fußball) von allen Olympischen Spielen (mit Ausnahme von Athen 2004)
  • Seit 2003 Reporterin der DFB-Frauen bei allen großen Turnieren
  • 2011 FIFA Frauen-WM in Deutschland 2011: Erste weibliche Live-Kommentatorin bei einer Fußball-Weltmeisterschaft überhaupt im deutschen Fernsehen
  • 2016 Fußball-EM in Frankreich (m): Erste weibliche Live-Kommentatorin bei einem großen Turnier im Männerbereich überhaupt im deutschen Fernsehen
  • 2018 Erste weibliche Live-Kommentatorin bei einer Männer-Weltmeisterschaft überhaupt im deutschen Fernsehen. Bereits zuvor – am 14. Februar 2018 – wird Claudia Neumann zur ersten weiblichen Live-Reporterin im deutschen Fernsehen überhaupt, die ein Champions-League-Spiel der Männer kommentiert (Achtelfinal-Hinspiel zwischen Real Madrid und Paris St. Germain, 3:1)
  • 2021 Marie-Juchacz-Frauenpreis des Landes Rheinland-Pfalz
  • 2021 . Platz in der Kategorie Beste*r Sportkommentator*in des Deutschen Sportjournalistenpreises
  • 2023 erste weibliche Live-Kommentatorin bei einem Champions-League-Finale der Männer überhaupt im deutschen Fernsehen (Manchester City versus Inter Mailand, 1:0). Im selben Jahr Live-Reporterin des WM-Finals (w) zwischen Spanien und England (1:0)

Claudia Neumann über …

… Kindheit als ‚klassische 9‘

„Der Sport hatte in meiner Kindheit eine wesentliche Rolle – das kann ich schon mal sagen. In meiner Generation hatten Kinder noch einen natürlichen Bewegungsdrang. Wir sind bei Wind und Wetter rausgegangen. Wenn ich das mit der heutigen Kindheit und Jugend vergleiche, sehe ich da einen krassen Unterschied. Sport spielte eine riesige Rolle – aber ganz spielerisch.

Ich werde oft gefragt: ‘Wie bist du denn als Mädchen in den Siebzigern zum Fußball gekommen?’ Dafür gibt es eigentlich keine Erklärung – außer der, dass man einfach mit den anderen Kindern spielt. In meinem Fall waren das zufällig nur Jungs, weil die Nachbarschaft eben aus Jungs bestand. Und wir hatten wirklich Glück: Direkt vor der Tür gab es einen wunderbaren Bolzplatz. So etwas gibt es heute leider kaum noch. Dort lagen mehrere Felder nebeneinander – sogar mit Rasen, zwar nicht ideal, aber völlig okay. Wir haben den ganzen Tag Fußball gespielt. Ob Sommer oder Winter – wir waren entsprechend angezogen und haben gespielt, bis es dunkel wurde und von zu Hause der Ruf zum Abendessen kam.

Das war in der Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid – zwei Orte, die damals noch eher Dörfer waren und mittlerweile zusammengewachsen sind. Dort bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen – bis zum Abitur.

Auch im Schulsport haben wir oft um Ballspiele ‘kämpfen’ müssen. Aber grundsätzlich hatte der Schulsport noch einen Stellenwert – definitiv. Wir hatten das Glück, dass unser Sportlehrer selbst ein echter Ballfreak war, bei dem wir oft Ballspiele machen konnten. Der Sportunterricht fand regelmäßig statt und hat mir – und vielen meiner Freundinnen und Freunde – riesigen Spaß gemacht. Natürlich gab es auch Kinder, die nicht so viel Freude daran hatten, aber im Großen und Ganzen war der Sportunterricht wichtig. Was allerdings verboten war: mit dem Tennisball auf dem Schulhof kicken – das ging dann doch zu weit.

Dass ich als Mädchen mitspielen durfte, war nie ein Problem. Ich glaube, Kinder regeln so etwas unter sich. Wenn man körperlich mithalten kann – und das ist in dem Alter (5 bis 8 Jahre) ja oft noch ziemlich gleich – dann gibt es da keine großen Unterschiede. Ich habe das selbst gar nicht als ‘besonders’ wahrgenommen. Erst, wenn Eltern mal am Spielfeldrand standen, hörte man: ‘Ach guck mal, da spielt ja auch ein Mädchen mit.’ Aber unter uns Kindern war das ganz selbstverständlich. Wir haben Mannschaften gewählt, wie man das eben kennt – und ich war nicht die Letzte, die gewählt wurde. Ich musste also nicht ins Tor.

Damals – in dem kleinen Dorf – hatte ich gar nicht die Vorstellungskraft, dass es vielleicht auch andere Mädchen gab, die gerne Fußball spielen wollten. Später habe ich natürlich erfahren, dass es sehr wohl schon Mädchen gab, die sich organisiert haben. Es waren wenige, aber sie haben sich gekümmert. Ich weiß gar nicht, ob das damals für mich gepasst hätte. Ich wollte am liebsten mit den Jungs in der Dorfmannschaft spielen – aber das durfte ich nicht. Damals war es vom DFB noch nicht erlaubt, dass Mädchen mit Jungs in einem Team spielen. Heute ist das glücklicherweise bis zu einem gewissen Alter möglich.

Einmal bekam ich dann doch eine Ausnahmegenehmigung: Bei der Gründung einer neuen Jugendmannschaft im Dorf durfte ich aus Spaß mitspielen. Wir haben 2:0 gewonnen – ich habe beide Tore geschossen. Das war für mich eine schöne Bestätigung. Ich war Mittelstürmerin – eine ‚klassische 9.‘“

… ihren Werdegang zur Sportreporterin

„Journalistin zu werden, das war mir schon früh klar – das auf jeden Fall. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann, aber irgendwann in den letzten Schuljahren stand das für mich fest. Dann dachte ich: ‘Okay, du musst ja erst mal Erfahrung sammeln.’ Also habe ich mich schlau gemacht, wie man überhaupt an solche Stellen rankommt. Damals gab es ja nur ARD und ZDF, kein Privatfernsehen. Es war wirklich ein Nadelöhr, durch das man durchmusste.

Die Frage war: Wie wird man eigentlich Journalistin? Ich habe mich informiert – es gab Volontariate und vor allem viele Möglichkeiten über Praktika. Das war wirklich das große Geheimnis: sich irgendwo auch nur ein halbes Füßchen in die Tür zu stellen, um überhaupt dabei zu sein. Und die Summe dieser Praktika hat dann vieles ermöglicht. Es war im Grunde Learning by doing. Und dass man zwischendurch auch mal einen Studiengang absolvieren musste, war klar. Aber die wenigsten studierten damals Journalistik – das gab es in der Form kaum. Es gab die Springerschule und noch ein, zwei andere Stellen, aber da habe ich mich gar nicht erst beworben.

Die halbe Generation vor mir – da waren viele Juristen. In meiner Generation begannen viele mit Germanistik oder ähnlichen Studiengängen und kombinierten das dann häufig mit Sport – das war durchaus üblich.

Meine Studienwahl zielte dann auch schon darauf ab: Germanistik fand ich sinnvoll. Sportwissenschaften wollte ich auch unbedingt machen. Und als drittes Fach habe ich Pädagogik gewählt, weil ich dachte: ‘Vielleicht muss ich irgendwann mal Menschen etwas beibringen – dann könnten ein paar pädagogische Grundlagen nicht schaden.’

Bonn war die nächste Universitätsstadt, und ich habe Bonn in dieser Zeit sehr geliebt. Aber ich war ursprünglich an der Sporthochschule in Köln – und bin da durchs Schwimmen durchgerasselt, ohne vorher zu trainieren. Ich hätte einfach ein bisschen üben sollen, dann hätte ich es wahrscheinlich auch geschafft. Aber so bin ich in Bonn gelandet – und darüber war ich am Ende sehr glücklich. Zum einen, weil es nicht nur um Sport ging, zum anderen, weil viele aus meiner Schule auch dort studierten. Bonn war auch ein Stück näher an meinem Heimatort, sodass ich dort wohnen geblieben bin und nicht nach Bonn ziehen musste. Trotzdem habe ich diese Stadt sehr gemocht – sie war damals, mit dem politischen Betrieb, sehr lebendig. Es war eine schöne Zeit.

Das Sportgelände lag oben auf dem Venusberg – eine fantastische Anlage. Etliche Fußballplätze, Leichtathletikanlagen, Tennisplätze, Hallen – alles war da. Der Weg dort hoch war schön, das weiß ich noch gut. Wir hatten Aufkleber mit der Aufschrift ‘SWE – Sportwissenschaftliches Institut’. Die sollten wir vorne ans Auto machen, damit man wusste: Wer so einen Aufkleber hatte, der nahm auch andere Studierende mit – denn nicht alle hatten ein Auto. Eine Bahn fuhr da jedenfalls nicht hoch.“

… erste Live-Kommentation

„Unsere Herangehensweise damals beim ZDF war natürlich schon, dass irgendwann unsere Vorgängergeneration älter wurde. Und die Sportchefs, die mehreren Chefs, haben sich dann Gedanken gemacht: ‘Welche Leute könnten in der nachfolgenden Generation irgendwann dazustoßen?’ Dann machte man einen sogenannten Probekommentar. Das war alles ‘off the record’. Drei Kollegen und ich wurden eingeladen – und dann ergab sich das irgendwann. Ich glaube, zu allen wurde gesagt: ‘Ja – ausbaufähig. Da müssen wir noch dran arbeiten. Aber es ist ausbaufähig.’

Wir hatten alle schon im Fußball gearbeitet und wahnsinnig viel Erfahrung mit den klassischen Reportagen gesammelt. Das darf man nicht vergessen – diese lange Vorarbeit haben die jungen Leute heute gar nicht mehr. Die kommen oft von jetzt auf gleich rein, ohne die zehn Jahre an vorheriger Arbeit. Das ist heute anders.

Damals gab es nicht viel Live-Fußball, und so ist das dann langsam entstanden. In meinem Fall wurde dann gefragt: ‘Wollen wir bei dir nicht erst mal mit dem Frauenfußball anfangen, was Livekommentar angeht?’ Dazu muss man sagen, dass ich als Reporterin viele Jahre erst nach dem Männerfußball zum Frauenfußball kam – weil ich mich da gar nicht auskannte. Wie alle anderen auch. Aber das öffentlich-rechtliche Fernsehen hatte damals schon Sendeverpflichtungen, übertrug Highlights, Pokale – das war alles im Portfolio.

Ich habe anfangs Interviews und Beiträge für den Frauenfußball gemacht. Dann kam die Frage: ‘Ist die Gesellschaft schon bereit für einen Livekommentar – mit einer Frauenstimme?’ Denn das war ja das einzig Offensichtliche, das einen Unterschied machte. Ich hatte vorher schon Zusammenfassungen gesprochen, etwa zehn Minuten aus dem Pokal. Das kannten viele schon, da gab es keinen großen Aufschrei.

Und irgendwie, unausgesprochen, haben wir uns darauf geeinigt, dass ich mit dem Frauenfußball beginne. Das fand ich auch sehr smart. Es war nicht so, dass wir das gesellschaftlich tief diskutiert hätten – es war einfach ein Thema, das im Raum stand. Und instinktiv haben wir gemeinschaftlich entschieden: Ich fange mit Frauenfußball an. Das war für mich völlig in Ordnung.

Dann habe ich bei den Olympischen Spielen in Peking sehr viele Fußballspiele kommentiert. Die meisten liefen nicht im Hauptprogramm – damals war das noch auf Digitalkanälen oder auf 3Sat. Fußball hatte bei Olympia eine kleinere Rolle – und das war auch so gewollt. Es ging vor allem um die Frauen, die auch Bronze holten. Viele Ballsportarten liefen in den Parallelkanälen. Ich glaube, später war es dann der Infokanal und irgendwann ging alles in die Mediathek.

Das war ideal zum Reinkommen, zum Üben – und zum Erfahrung sammeln war es großartig. Dann habe ich irgendwann ein Länderspiel in den USA kommentiert. 2011 kam die WM im eigenen Land. Und bei den Männern war ich dann auch irgendwann dabei. Bei den Olympischen Spielen 2012 habe ich das Finale kommentiert – das lief im Hauptprogramm, weil da zufällig nichts anderes war. Es war Brasilien gegen Mexiko – Brasilien mit Neymar, also fast eine A-Nationalmannschaft. Dann kamen noch zwei, drei Spiele bei Freundschaftsturnieren im Sommer – das lief dann alles Richtung 2016.“

… ihren Wechsel zum ZDF

„Es stand dann tatsächlich ein Umzug für die gesamte SAT.1-Redaktion bevor. Ich glaube, es war nicht nur der Sport, es waren alle – von Hamburg nach Berlin. Die hatten dort ein Gebäude gekauft. Wir vom Sport waren vorher schon einigermaßen regelmäßig in Berlin, weil wir die kleine tägliche Sportsendung von dort aus dem Studio von n-tv gemacht hatten. Berlin war damals ja sehr besonders. Und irgendwie hatte ich dann für mich den Impuls: ‘Och nee, nach Berlin will ich eigentlich nicht ziehen.’ Ich fand es ganz witzig, hin und wieder dort zu sein, aber dauerhaft wollte ich nicht dahin.

Parallel dazu lief auch so ein Gedanke: Es könnte Zeit für eine Veränderung sein. Ich habe das ja vorhin schon gesagt – irgendwann hat man gemerkt, dass SAT.1 mit dem Ran-Fußball zufrieden war, dass die Aufgabe im Grunde erfüllt war. Das hat man gespürt. Reinhold ist gegangen, später auch Kerner, viele sind gegangen – ohne dass ich mich mit ihnen vergleichen möchte. Aber ich hatte auch so ein Gefühl: Es könnte jetzt mal was anderes kommen. Und dieser Umzug gab allen so eine kleine Legitimation, sich neu zu orientieren.

In der Zeit kam dann tatsächlich ein Anruf von Wolf-Dieter: ‘Kannst du dir vorstellen …’ Er war der Erste, der wirklich gesagt hat: ‘Ich würde gerne eine Frau in der Fußballberichterstattung haben. Wir machen aber auch viel mehr als nur Fußball. Wenn du auch mal das und das machen möchtest …’ Ich hatte bei Ran auch mit dem Radsport angefangen, weil wir durch eine andere Sendung ein bisschen breiter aufgestellt waren. Und Tennis war ich auch regelmäßig im Team. Wir hatten damals ein gutes Portfolio an Tennisrechten – die Super-Neun-Serie mit großartigen Turnieren. Das war schön. Aber das dann auf einer anderen Ebene zu machen, fand ich reizvoll.

Ich habe lange überlegt, aber irgendwie hat dann alles gepasst. Und bei Wolf-Dieter war es definitiv so, dass er da unbedingt eine Frau haben wollte. Als Sportchef hat er natürlich verfolgt, was bei den anderen Sendern lief – und mich offensichtlich noch für jung genug gehalten, dass ich mich ans ZDF gewöhne. So war das.

Im Grunde gab es zwei Optionen: ARD oder ZDF. Beim WDR wäre vielleicht etwas möglich gewesen. Aber durch den relativ frühen Kontakt zum ZDF und weil ich das alles etwas kompakter fand, war es für mich reizvoller. Vielleicht, weil es eine zentrale Struktur hatte. Die Sendungen waren klar, die Protagonisten, die man kannte, gehörten klar zum ZDF. Bei den anderen war es oft unklarer: Wer ist eigentlich NDR, wer ist WDR, wer ist jetzt eigentlich ARD? Nicht jeder war automatisch alles. Ich weiß nicht, ob ich mich damit im Detail beschäftigt habe – wahrscheinlich nicht.

Es lag einfach auf der Hand. Und dann war es nur noch die Frage: Mach ich es – oder mach ich es nicht? Und es war einfach eine wunderbare Entscheidung.“

… miese Kapitel des Sportjournalismus

„Mit zunehmender Erfahrung wurde ich natürlich viel interessierter an diesen Dingen. Das muss man sagen. Das war sicherlich, als ich jung war, noch nicht ganz so extrem. Aber allein durch die Dopingsystematik im Sport sind wir irgendwann zu der Erkenntnis gekommen – also zumindest in der Struktur, in der wir über viele Jahre im ZDF gearbeitet haben –, dass sich das nicht gut vereinbaren lässt, wenn man regelmäßig die klassische Eins-zu-Null-Berichterstattung macht und gleichzeitig investigativ arbeitet. Das ist ein Riesenspagat. Das ist sehr, sehr schwierig. Eigentlich muss man das trennen.

Ich nehme jetzt mal die Tour de France als Beispiel. Da haben wir natürlich von vor Ort berichtet – in einer relativ großen Truppe damals. Wir haben wahnsinnig viel Sendefläche gefüllt. Da war beides zu machen, aber wir hatten gar nicht das Personal, um dort auch noch Investigatives mitlaufen zu lassen. Das war so nicht möglich. Und es ist wirklich schwierig. Ich bin zum Beispiel lange daran gescheitert zu glauben: Das kann doch nicht sein. Ich konnte mir nicht vorstellen – und ich hatte sehr viel mit dem Team Telekom, mit Jan Ullrich speziell zu tun, vor allem als Filmemacherin über einige Jahre –, dass man so gut lügen kann. Das war mir nicht bewusst. Ich habe das erst deutlich später verstanden.

Sie hatten kein Unrechtsempfinden. Das ist dann auch gut zu erklären. Und trotzdem: Wir haben Interviews geführt, wir haben recherchiert – aber natürlich nicht so, wie man das heute machen würde, wenn man es investigativ betreibt. Und wenn Sie im Interview permanent hören: ‘Nein, ist nicht’, und das alles sehr gut vorbereitet ist, auch in Abstimmung mit den Veranstaltern, dann ist es sehr schwer, Wahrheit und Lüge auseinanderzuhalten – sehr schwer. Und dann ist es für die Reporter auch schwer, diesen Generalverdacht immer mitzudenken, als dann die ersten Dopingfälle verbrieft waren. Wem tut man Unrecht? Oder sind wir vielleicht naiv, schauen darüber hinweg?

Am Ende musste man über viele Jahre im Radsport sagen: Haben wir das getan? Ich finde, die Radsportberichterstattung in jener Zeit und das, was daraus geworden ist, und was aus den Protagonisten geworden ist, ist eines meiner dunkelsten Kapitel in meiner sportjournalistischen Laufbahn. Und ich sage: Da haben wir alle richtig schlecht agiert. Richtig schlecht – auch mit dem Rückzug aus den Übertragungen und dann wieder rein, ohne vorher Verträge zu verändern. Das lag natürlich auf anderer Ebene, aber ich behaupte nach wie vor, dass viele da am Nasenring durch die Manege gezogen worden sind – und fast alles zulasten einiger weniger ging. Unter anderem Jan Ullrich. Dieser Mensch war fast tot. Und da sind so viele Dinge schlecht gelaufen und so viele Macher, Funktionäre, Politiker davongekommen und haben die Verantwortung weitergegeben – ganz übel – an wenige, die natürlich nicht unschuldig waren, ohne Frage, aber die nicht wussten, wie sie rauskommen aus der Situation. Das war ganz schlecht. Ganz schlecht.

Und ich befürchte, dass es das in anderen Sportarten an der einen oder anderen Stelle auch gibt. Aber da war ich halt relativ nah dran und hatte ein sehr schlechtes Gefühl, was da alles passiert ist. Und wir wissen, wie viele Menschen nie wieder mit Doping behelligt worden sind, die aber immer noch die Strippen ziehen – wow!

Das ist ein mieses Kapitel des Sports – und vielleicht auch des Sportjournalismus. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, wie wir jetzt die Kurve dahin bekommen haben. Es ging um Verantwortung, um die Frage, wie politisch man auf bestimmte Dinge blickt. Und ja, ich finde, das gehört in jedem Fall dazu – mit sehr guter Vorbereitung, mit einer sehr guten Expertise. Man darf da nicht sagen, drei Wochen vor Katar: ‘Ja, wir kümmern uns mal drum.’ Sondern man muss sehr genau wissen, was man möchte. Auch da gibt es, wie ich finde, kein Richtig und kein Falsch – sondern nur ein: Das passt für uns. Und dann muss man im Übrigen auch mal Kritik aushalten.

Den einen ist es zu viel, den anderen zu wenig Sport. Aber wenn man davon überzeugt ist, dann muss man das auch mal aushalten. Das ist auch unser Auftrag. Und dann wisst ihr ja: Wenn ein Fußballspiel beginnt, könnt ihr ja einschalten.

Übrigens war das in Bezug auf Katar das erste Mal, dass man eine echte Konsequenz der Menschen gespürt hat: deutlich weniger Einschaltquote. Deutlich weniger. Das war das Spannende – zu beobachten, ob Fans wirklich mal Konsequenz zeigen. Wenn sie sich gegen etwas stellen, gegen Funktionäre oder sich mit ihren Vereinen über die Rechte der Fanszenen streiten – dann auch wirklich mal zu sagen: ‘Wir kommen nicht.’ Das ist noch nicht so oft passiert.“

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