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Portrait_2

Gudrun „Emmi“ Winker

*1953
Fußballpionierin im Siegerland

Über viele Jahrzehnte begleitete Gudrun „Emmi“ Winkler die Glanzzeiten des Frauenfußballs in Siegen. Dabei gewann sie mehrfach den DFB-Pokal und die Deutsche Meisterschaft – zunächst als beinharte Verteidigerin in jungen Jahren und später als fürsorgliche Betreuerin.

Kurzbiografie

  • Geboren 1953 in Haiger (Siegerland)
  • 1972-1974 Fachhochschulreife
  • 1972-1974 Siegener SC
  • 1974-1976 Fachschule für Technik in Dillenburg (Abschluss: Staatl. Geprüfte Maschinenbautechnikerin)
  • 1974-1996 TSV Siegen (In dieser Phase 6x deutscher Meister, 5x Pokalsieger Fußball)
  • 1976-2019 techn. Angestellte bei Firma Erich Utsch KG Siegen
  • 1992-2018 Schiedsrichterin im Jugendbereich
  • 1996-heute Sportfreunde Siegen (Abteilungsleitung Frauen/Mädchen)

Gudrum “Emmi” Winkler über …

… ihre Kindheit und (Frauen)Fußball

„Ich bin ja ’53 geboren. Zu der Zeit war es für Mädchen noch komplett verboten, Fußball zu spielen. Ich bin in einer ärmlichen Gegend aufgewachsen, wo es viele Kinder gab. Wir haben auf der Straße Fußball gespielt, auf der Wiese nebenan, beim Nachbarn – für mich gab es nichts anderes. Ich wollte Fußball spielen.

Ich habe einen jüngeren Bruder und zwei ältere Schwestern. Die haben mit Puppen gespielt – das war alles nichts für mich. Ich wollte Fußball. Als mein jüngerer Bruder dann in den Verein eingetreten ist, habe ich meinen Vater so sehr angebettelt, dass ich auch dorthin kann. Aber sie haben mich nicht genommen, weil sie es einfach nicht durften. So blieb mir also nichts anderes übrig, als in meiner Freizeit mit den Jungs aus meiner Gegend Fußball zu spielen. Manchmal musste ich sie sogar darum bitten, weil sie mich nicht immer mitspielen ließen. Und wenn, dann durfte ich nur Verteidigerin sein – ich durfte kein Stürmer sein, keine Tore schießen. So war das ganz am Anfang.

Bei einem Heimatfest in Haiger haben sie aus Jux ein Frauenfußballspiel veranstaltet. Damals nannte man das noch Damenfußballspiel, als Einlage beim Sportfest auf dem Fußballplatz. Dort habe ich meine spätere langjährige Kollegin kennengelernt. Wir haben Fußball gespielt – wir waren vielleicht vier Mädels, die wirklich spielen konnten. Alle anderen waren eher Statisten, die einfach nur Spaß hatten und ein bisschen gegen den Ball getreten haben. Aber wir vier haben das richtig ernst genommen. Wir haben uns die Bälle zugespielt und das ganze Spiel allein gemacht. Es war nur eine Show – und für uns auch ein bisschen niederschmetternd, weil wir nicht ernst genommen wurden.
Aber daraus entstand in Donsbach, einem Ort ein paar Kilometer weiter in der Nähe von Haiger, eine Frauenfußballmannschaft. Das Mädel, das ich bei dem Spiel kennengelernt hatte, hatte damals schon ein Auto. Sie hat mich immer von Haiger nach Donsbach mitgenommen. Dort haben wir dann richtig Fußball gespielt – gegen echte Gegner. Es gab damals noch keine Liga oder so etwas, aber wir hatten eine richtige Mannschaft und waren schon ziemlich erfolgreich.“

… ihre Rolle als knochenharte Verteidigerin

„Im Umkreis von Siegen gab es damals auch schon Frauenfußballvereine, aber nicht auf hohem Niveau. Die spielten einfach ‚just for fun‘. Denen reichte die Kreisliga, wo sie ein bisschen gekickt haben. Ja, das war immer ganz lustig.
Gut, wir haben uns da auch manchmal einen Spaß draus gemacht – besonders bei Pokalspielen im Kreis. Da haben wir zum Beispiel unsere Torfrau als Mittelstürmerin aufgestellt. Das war schon ein bisschen überheblich, ich gebe es ja zu. Ich erinnere mich an eine Fahrt, da hatten wir unterwegs ein bisschen was getrunken und danach noch ein Pokalspiel. Also dachten wir uns: Ach, machen wir doch mal was Verrücktes! Der Mittelstürmer ging ins Tor, die Torfrau wurde Mittelstürmerin. Wir mussten uns kaum bewegen, obwohl wir schon ein bisschen angetüttelt waren – und trotzdem haben wir locker gewonnen. Ich weiß noch, dass die Teams im Kreis damals nicht gerade viel Qualität hatten. Das war immer ganz entspannt.
Ich war immer Verteidigerin – immer. Ich durfte nicht über die Mittellinie laufen. Später, als der Neusser unser Trainer war, hat er zu mir gesagt: ‚Mittellinie ist für dich. Ab. Zu. Mauer. Nix.‘ – Ich durfte einfach nicht.
Einmal habe ich mir einen Kreuzbandriss geholt, nur weil ich unbedingt einen Ball haben wollte, der in Höhe der Mittellinie lag. Da hat mich der Trainer zurückgepfiffen. Ich habe sofort gestoppt, mir dabei das Knie verdreht – und zack, Kreuzbandriss.
Ich war jetzt auch kein großartiger Techniker. Ich durfte schon mal bei einer Ecke mit nach vorne, weil ich kopfballstark war. Und wie gesagt, Angst hatte ich keine. Ich habe den Ball in sämtlichen Höhenlagen weggeköpft, sogar im Flugkopfball. Gegen den Ball treten konnte ich auch. Aber Technik? Mal jemanden ausdribbeln? Das war nicht meins.
Der Trainer wusste genau: Wenn ich über die Mittellinie komme, ist der Ball schneller weg, als ich überlegen konnte, wohin ich ihn überhaupt passen will. Ich war also ein knochenharter Verteidiger – kann man schon so sagen.“

… den Wechsel hochkarätiger Spielerinnen nach Siegen und Konkurrenz

Also, 1974 war ich beim TSV, ungefähr zehn Jahre lang, bis Mitte der 1980er. Da spielten wir schon ziemlich hoch, und dann kamen die richtig guten Leute zu uns.

Die Rosi Neusser zum Beispiel – die wollte unbedingt Deutscher Meister werden und ging damals nach Bergisch Gladbach. Der SSG 09 Bergisch Gladbach war damals der Top-Frauenclub. Da ist sie hingegangen. Ist ja nicht so weit von Siegen. Die spielten unter Anne Trabant. Die war damals Trainerin, ehemalige Nationalspielerin, eine richtig gute Frau.
Ja, und einige Mädels kamen mit ihr dort nicht mehr so gut zurecht – unter anderem Silvia Neid, Andrea Haberlaß, Sissy Raith und Manuela Kozany. Ich glaube, das war 1983. Die Rosi wollte sowieso zurück nach Siegen. Und ja, der Gerd hat sie ein paar Mal nach Bergisch Gladbach gefahren und dort geguckt. Man kannte ihn da auch. Der hat dann die Mädels überredet, nach Siegen zu kommen. Gesagt, getan.
Die haben dann alle irgendwo eine Wohnung gefunden – das hat alles der Gerd Neußer organisiert. Und als sie dann hier angefangen haben zu spielen, war meine aktive Laufbahn so gut wie vorbei. Da hatte ich keine Chance mehr.
Wir hatten aber damals sogar eine zweite und eine dritte Mannschaft, wo ich dann weitergespielt habe. Ich wollte ja immer noch ein bisschen kicken, aber eben nicht mehr so leistungsstark wie die Erste. Weil das war schon eine hochkarätige Bereicherung, die wir da hatten. Erst haben wir alle ein bisschen doof geguckt, aber natürlich waren wir auch stolz. Silvia Neid war gerade Nationalspielerin geworden, und da hatte man schon irgendwie Ehrfurcht. Obwohl sie erst Anfang 20 war – aber trotzdem. Also, gemeckert hat da keiner. Wir waren stolz, so eine gute Spielerin in der Mannschaft zu haben.
Überreden musste man die vier nicht groß. Die fühlten sich in Bergisch Gladbach sowieso nicht mehr wohl. Und die Rosi hat gesagt: ‚Ich gehe sowieso zurück nach Siegen, kommt doch mit.‘ Ich weiß noch, dass die erstmal ein-, zweimal hier waren, um zu gucken und sich zu beschnuppern.

Sissy Raith hat dann eine Lehre als Automechanikerin gemacht. Sie hat in der Nähe einer Autofirma gewohnt. Andrea Haberlaß war in der gleichen Firma, aber irgendwo im Büro. Silvia Neid hat als Fahrerin angefangen. Manu Kozany hat bei einem Möbelgeschäft gearbeitet. Wahrscheinlich wurde das alles durch unseren damaligen Finanzier Friedhelm Dornseifer unterstützt. Das ist eine Metzgereikette mit Wurst und Fleisch – mittlerweile haben die richtig große Filialen im Kreis Siegen. Die sind echt groß geworden. Und dieser Friedhelm Dornseifer war ein Klassenkamerad von jemandem aus dem damaligen Vereinsvorstand. Die haben per Handschlag ein Sponsoring zustande gebracht. Ich weiß es nicht hundertprozentig, aber es liegt nahe, dass das alles darüber finanziert wurde.
Mit Bergisch Gladbach gab es natürlich eine sportliche Rivalität, aber persönlich kannte ich da viele Mädels, auch die Trainerin. Da war eigentlich keine Feindschaft. Bergisch Gladbach war ja der erste Deutsche Meister und immer Spitzenreiter. Wir haben eigentlich gerne gegen die gespielt – auch wenn wir am Anfang meistens verloren haben.
Bei Brauweiler war das schon eher eine richtige Rivalität, weil wir mit denen eher auf Augenhöhe waren. Die Nationalspielerin Bettina Wiegmann war auch mal eine Zeit lang bei uns. Ich glaube, ein oder zwei Jahre.
Wir hatten die auch ein-, zweimal in Endspielen, als die Bundesliga noch zweigleisig war. Da war dann schon mehr Konkurrenz. Wir haben oft gegen die in Halbfinals oder Pokalspielen gespielt. Da wollten wir unbedingt gewinnen.
KBC Duisburg? Da kann ich nicht viel zu sagen. Da haben wir halt auch gespielt. Silke Rottenberg stand damals bei denen im Tor. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass da eine besondere Rivalität war.
Eigentlich war das Verhältnis zwischen den Frauenfußballmannschaften nicht so giftig. Manchmal gab es einzelne Spielerinnen, mit denen es ein bisschen hitziger wurde – wenn mal eine auf den Knöchel getreten wurde, dann konnte es schon mal giftig werden. Aber im Großen und Ganzen hatten wir immer ein super Verhältnis. Nach den Spielen saßen wir oft noch zusammen, haben was getrunken oder gegessen.“

… Pokal-Finals und Deutsche Meisterschaften

„Also, die Pokalspiele in Berlin – das war immer das allergrößte Highlight. Das ist für mich das größte Fußballfest meines Lebens.

Wir waren 1986 zum ersten Mal dort. Da durfte ich noch ein Trikot anziehen und auf der Ersatzbank sitzen. Wir spielten gegen Gladbach, die als hoher Favorit galten. Aber wir haben sie mit 2:0 geschlagen. Ich sollte eigentlich zehn Minuten vor Schluss noch reinkommen – das wollte der Neusser mir noch gönnen. Da war ich 33. Ich war total aufgeregt, stehe da neben ihm – und dann fragt er: ‚Was hast du denn für Schuhe an?‘ Ich hatte diese Tausendfüßler an, so Gumminoppen. Die hatte ich immer an, auch auf Rasen. Ich hatte einfach keine Stollenschuhe. Aber er wollte, dass alle Stollenschuhe tragen, wegen des Rasens. Und weil ich keine hatte, durfte ich nicht rein.

Ja, das war die Enttäuschung meines Lebens. Allein, dass mein Name in Berlin auf der Anzeigetafel gestanden hätte – das wäre das Nonplusultra gewesen. Aber wegen dieser blöden Schuhe hat er mich nicht eingesetzt. Das habe ich ihm jahrelang nicht verziehen.
Aber gut, wir haben den SSG mit 2:0 geschlagen. Ich weiß noch, wie ich auf der Ersatzbank sitze, beim Abpfiff in die Luft springe – und die Siegener Zeitung hat genau in dem Moment drei Bilder von mir gemacht. Jedes Mal mit weit aufgerissenem Mund. Das war fast peinlich, aber ich habe mich einfach so gefreut.
Und auch später: Wir waren in Spandau, das ist die Partnerstadt von Siegen, in einer Jugendherberge am Wannsee. Klein, gemütlich, super nett. Da waren wir ein paar Jahre hintereinander untergebracht. Vierbett-, Sechsbettzimmer oder wie auch immer – aber trotzdem war es dort richtig schön. Wenn wir gewonnen hatten, sind wir abends dorthin zurückgefahren, und alle haben mit uns gefeiert.

Deutsche Meisterschaften waren nicht vergleichbar mit Berlin. Wir haben einmal eine Deutsche Meisterschaft gewonnen – zu Hause in Siegen, im Leimbachstadion. Ich glaube, das war gegen Frankfurt. Es stand auf der Kippe, sah erst so aus, als würden wir verlieren. Und dann hat der Neusser noch eine ältere Spielerin eingewechselt, die eigentlich gar nicht mehr spielen wollte. Aber er hatte sie noch auf der Bank. Und sie hat dann das Siegtor geschossen.
Es war natürlich schön, auch zu Hause zu gewinnen. Die Siegener Zeitungen waren da, wir wurden fotografiert, interviewt, überall hofiert. Nach dem Spiel gab es ein dickes Essen und Trinken. Man hatte schon das Gefühl, ein Promi zu sein – zumindest in Siegen. Wir sind mit einem 50-Mann-Bus nach Berlin gefahren. Viele Eltern waren mit dabei. Der TSV Siegen hat noch einen zweiten Bus gechartert für die ganzen Fans und Anhänger.

Ich weiß noch: Ein Arbeitskollege von mir, der Manager von Grün-Weiß Siegen, fragte, ob er auch mitkommen könnte. Wir hatten damals 400 Karten bekommen – aber ich wurde die gar nicht alle los. So viele Zuschauer kamen dann doch nicht mit. Der Empfang in Siegen – das werde ich nie vergessen.
Wir haben gefeiert, morgens noch im Dunkeln aufgestanden, dann ging’s zurück. In Lüdenscheid haben wir uns umgezogen. Und als wir in Siegen-Seelbach ankamen – Wahnsinn! Da standen lauter weiße Kutschen mit weißen Pferden – nur für uns. Das hatten die dort organisiert. Das war wie Prominenz, fast wie eine Hochzeit. Also wirklich: weiße Kutschen! Dann sind wir mit den Kutschen von Siegen-Seelbach die drei, vier Kilometer bis nach Drobach gefahren. Die Leute standen an der Straße, haben gejubelt, gerufen, uns Blumen zugeworfen.
Am Sportheim des TSV Siegen gab es einen Balkon – da standen wir dann alle drauf, wie Bayern München mitten in der Stadt. Und unten war der halbe Fußballplatz voller Leute, die uns zugejubelt haben. Das war einfach unvergesslich. Wir haben zwar noch öfter gewonnen – aber so ein pompöser Empfang wurde uns nie wieder bereitet.“

… ihre Rolle als Abteilungsleiterin (Frauen/Mädchen) bei den Sportfreunden

„Wie gesagt, es muss 2002 gewesen sein, als sich die Bundesligamannschaft aufgelöst hat und unsere Zweite dann übernommen hat.
Ich musste erst mit dem damaligen Vorstand reden, weil ich wusste, dass die nicht unbedingt frauenfußballfreundlich waren. Es ging darum, dass wir weiterspielen und auch als Mannschaft weiterbestehen konnten.
Dann musste ich mich erstmal bemühen, einen Trainer zu finden. Glücklicherweise hat sich ein Spieler aus der ersten Männermannschaft bereit erklärt, das Training der Frauen zu übernehmen. Das war schon ein großer Vorteil – dass wir jemanden aus den eigenen Reihen hatten.
Leider wurde er dann schwer krank. Da ist ein anderer Spieler aus der ersten Mannschaft eingesprungen – er hatte eine Tochter, die bei mir gespielt hat. Und als der erste Trainer wieder gesund war, haben die beiden dann gemeinsam weitergemacht.
Dadurch, dass wir zwei Männer aus der ersten Mannschaft im Trainerteam hatten, wurde das Verhältnis insgesamt besser. Auch ich hatte inzwischen öfter mit der Geschäftsstelle zu tun, und so wurde auch das Verhältnis zum Verein über die Jahre immer entspannter. Ich musste nicht mehr so sehr kämpfen.
Ein großer Vorteil für mich war Manfred Utsch. Wenn ich Geld brauchte, brauchte ich nur zu ihm zu gehen. Man denkt ja immer, dass nach einem großen Titel – wenn die Nationalmannschaft Weltmeister oder Europameister wird – plötzlich alle Mädchen zum Fußball strömen. Aber das war gar nicht so.
Wir in Siegen sind ja auch ein bisschen abseits gelegen. Wenn wir gute Spielerinnen wollten, mussten wir im Umkreis richtig ackern, um sie zu uns zu holen. Klar, die Sportfreunde Siegen waren bekannt, und es war nicht übermäßig schwer. Aber dass die Spielerinnen von alleine zu uns kamen, so wie früher? Nee, eigentlich nicht.“

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