Rudi Schwietering
*1952
Mehrfacher paralympischer Medaillengewinner
Mit 17 Jahren verlor Rudi Schwietering sein rechtes Bein bei einem Arbeitsunfall. Noch am Krankenbett wurde er Mitglied der Versehrtensportgemeinschaft Gelsenkirchen. Als Volleyballer gewann Schwietering drei Mal in Folge paralympisches Gold.
Kurzbiografie
- Geboren 1952 in Gelsenkirchen-Schalke
- Studium zum Betriebswirt Fachhochschule Detmold
- Seit 1970 Mitglied der Versehrtensportgemeinschaft Gelsenkirchen e. V. (VSG)
- 1975-1998 International aktiver Spieler (Volleyball)
- 1988 Seoul, 1992 Barcelona, 1996 Atlanta Gold- Paralympics
- 1987 und 1989 Silbermedaille für den Behindertensport
- 1993 und 1996 Silbernes Lorbeerblatt
Rudi Schwietering über …
„Ich bin 1952 in Gelsenkirchen-Schalke geboren, in einem Wohnbereich, der sehr schlicht war. Kein fließendes Wasser in der Wohnung, Telefone, so etwas kannten wir noch nicht. Dieses Wohnumfeld betraf also wirklich nur die untere Arbeiterschicht. Mein Vater war einfach nur kleiner Arbeiter bei Küppersbusch. Da bin ich dann groß geworden und durch die Nähe zu Schalke 04 natürlich ganz stark und war mit jungen Jahren schon der Glückauf-Kampfbahn verbunden. Das waren so zehn Fußminuten von uns. Von daher ein sportlicher Kontakt in der Richtung. Ansonsten, wie damals natürlich üblich, spielten alle Kinder Fußball. Ein Nachbar mittleren oder späteren Alters war dann auch Fußballtrainer, der uns dann auch entsprechend mitgenommen hat. Und mangels vorhandener hygienischer Möglichkeiten in diesem Wohnumfeld war ich natürlich sehr früh auch Mitglied im Schwimmverein. Und dann waren der Schwimmsport und Wasserball so mein erster sportlicher Einstieg in den Bereich aktiver Sport.
In dem Zeitraum gab es natürlich wenige Möglichkeiten. Halden, wie man sie heute kennt, waren gerade in Alt-Gelsenkirchen überhaupt nicht vorhanden. Spielmöglichkeiten gab es im Hinterhof. Da spielte man. Es gab natürlich auch dann im nahen Umfeld städtische Parkanlagen, wo dann Spielplätze angelegt waren, die man nutzen konnte. Die konnte man nur zu Fuß erreichen. Auch wenn es mal ein bisschen weiter entfernt war. Gebracht, mit dem Fahrrad oder so etwas gab es nicht. Und man nutzte Grünflächen für Indianerspiele mit selbst gebasteltem Pfeil und Bogen. In der Richtung spielte sich also früher so mein Leben ab. Der Fußballsport wurde einfach auf Brachflächen vollzogen, die dann noch reichlich in Alt-Gelsenkirchen vorhanden waren, zumindest groß genug für uns fünf bis 12-Jährige, um sich dort dann kleine Tore zu bauen. Und dann wurde dort Fußball gespielt, so lange es möglich war.“
„Ich war einfach jemand, der in Richtung Handwerk geprägt war. Ich hatte aufgrund welcher Erlebnisse, dass weiß ich nicht mehr, die Vorstellung, in meinem Leben mal Brücken bauen zu wollen. Und habe dann eine Ausbildung angefangen in einem Eisenwerk, die speziell im kleineren Bereich auf Stahl- oder Eisenkonstruktionen Brücken bauten. Und dort habe ich dann eine Lehre begonnen, die nach sechs Wochen dann leider beendet war, weil ich dann den Zweikampf zwischen mir und einem Fünf-Tonnen-Stahlträger verloren habe und seitdem rechts oberschenkelamputiert bin.
Als hochengagierter Azubi ist man natürlich dann gern geneigt, den Wünschen des Ausbildungsleiters zu folgen.
Es stand eine große Brückenwange oder hang im Kran, die auf entsprechende Podeste abgestellt wurde, um dort noch Schweißnähte anzubringen. Und der Azubi Rudi Schwietering, kletterte dann rein in diesen Träger, um den aus dem Kran zu hängen. Dieses Teil war aber nicht sauber fixiert und befestigt, kam also ins Schwanken. Und trotz meiner geübten Schnelligkeit hat es nicht ganz gereicht.“
„Nach diesem Arbeitsunfall als 17-Jähriger in dem Eisenwerk ging es natürlich darum: Wie geht ein junger Mensch wie ich damit um? Macht er sich überhaupt darüber Gedanken? Oder wird er, so wie ich das Glück hatte, von seinem Umfeld, von seiner Clique so aufgefangen, dass ich dann die ganze neue Situation sehr gut verkraften konnte, mich ganz schnell eingelebt habe und ganz schnell als sportlicher junger Mann das Prothesenlaufen gelernt habe.
Und zusätzlich das Glück hatte, dass der Gehschuhlehrer in dem damaligen Krankenhaus, dem Bergmannsheil, selbst Unterschenkel amputiert, Mitglied in der Sportgemeinschaft Gelsenkirchen war und mir am dritten Aufenthaltstag den Aufnahmeantrag direkt ans Bett gebracht hat. Dadurch der Übergang vom Nicht-Behindertensport Handball in den Behindertensport.“
„Die Teilnahme an den Paralympischen Spielen hat sich natürlich durch die Bedingungen und durch die Möglichkeiten ab Seoul deutlich verändert. Seoul war zum Beispiel für mich persönlich ein Erlebnis. Nicht nur, dass die Olympischen Spiele in dem Rahmen stattfanden. Natürlich war es auch ein asiatisches Land, das man vielleicht nie erreicht hätte oder in das man nie gereist wäre. Und das war natürlich ein Erlebnis. Ein fremdes Leben, eine fremde Kultur so nahe zu erleben, parallel da zu sein, Sport betreiben zu können, aber auch die Möglichkeit zu haben, um mit der Bevölkerung Kontakte zu knüpfen und Rückmeldung zu bekommen. Wie ist denn hier das Leben in so einer Stadt wie Soul?
Anders war es dann anschließend in Barcelona. Das ist Europa, das ist natürlich jetzt wieder was anderes. Da war die Stadt Barcelona eigentlich das Prägende, so eine Stadt kennenzulernen, so wenig Möglichkeit man auch hatte. Aber man hat so doch sehr viel wahrgenommen.
Atlanta war natürlich wieder ein anderes Umfeld. Das war Amerika mit einem ganz anderen Lebensstil, ein ganz anderes Lebensgefühl. Mit einer Stadt mit ganz anderen Möglichkeiten. Was sich aber bei allen gleich dargestellt hat, war der Umgang mit anderen Sportlern, das Zusammensein und in allen Ländern die Offenheit der Bevölkerung, der Zuschauer und die Nähe zu den Zuschauern. Und die Begeisterung, die sich bei der Ausübung unseres Sports in den Hallen dargestellt hat.“
„Es war auch irgendwann der Zeitpunkt, als in Leverkusen dann ein spezieller Leistungsstützpunkt für Behinderten-Volleyball errichtet wurde.
Um weiterhin auf dem Niveau Sport treiben zu können, hatte man sich natürlich überlegt: Wie kann man das Ganze unterstützen? Es war fraglich oder unfraglich, dass in den einzelnen Vereinen der Nachwuchs schwand. Die Vereine, die aktiv Volleyball spielten und auch noch an Meisterschaften teilnehmen konnten und wollten, schrumpfte nach und nach. So eine Zäsur, einen Leistungsstützpunkt zu erstellen, war für den internationalen Volleyballsport ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Trotzdem haben wir das mit einigen Spieler doch sehr kritisch gesehen. Denn durch diesen Leistungsstützpunkt wurden auch Spieler aus den Vereinen in Richtung ‚Verein Leverkusen‘ abgezogen, sodass das Vereinssterben der anderen Vereine sich dadurch sogar noch etwas beschleunigt hat. Die letzte Deutsche Meisterschaft fand dann nur noch mit vier Vereinen statt.
Das sind dann immer so zweischneidige Dinge. Der internationale Sport wurde auf jeden Fall gepusht, gepowert dadurch, und das Vereinssterben hätte man wahrscheinlich nicht aufhalten können. Denn dann war Jahre später auch der Volleyballsport auf Behindertenebene in Deutschland nicht mehr existent.“