Yalcin Özer
*1942
Sportlehrer und Olympiaenthusiast
Born to be wild – about the Olympics! Zweimal reiste der Bonner Sportlehrer Yalcin Özer mit dem Motorrad zu den Olympischen Spielen, die er auch mit seinen Schülern in Sydney besuchte. 1965 erfüllte sich der Turner anatolischer Herkunft seinen Traum vom Sportstudium in Köln.
Kurzbiografie
- Geboren 1942 in Kayseri (Türkei)
- 1962 Weltmeisterschaftsteilnahme in Prag im Gerätturnen für die Türkei
- 1958-1964 vierzehnfacher türkischer Gerätturnmeister (Mehrkampf und Einzel)
- 1965-1969 Sportstudium an der Deutschen Sporthochschule Köln
- Ab 1969 Sportlehrer am Friedrich-Ebert-Gymnasium Bonn
- 1993 Gründung des Projekts „Sydney 2000“ zwecks Durchführung einer Studienfahrt mit 40 Schülern zu den Olympischen Spielen 2000 in Sydney
- 1996 Betreuung einer Jugendgruppe der Deutschen Olympischen Gesellschaft bei den Olympischen Spielen in Atlanta
- 2000 Gründung und Vorsitz des „Vereins zur Unterstützung der Initiative, Bewerbung und Austragung der Olympischen Sommerspiele 2012 in NRW e. V
- 2004 Reise mit dem Motorrad von Köln nach Athen zu den Olympischen Spielen
- 2008 Reise mit dem Motorrad von Köln nach Peking zu den Olympischen Spielen
- Seit Juni 2013 Olympiabotschafter Olympiastützpunkt Rheinland
Yalcin Özer über …
„Nach den Olympischen Spielen in Rom 1960 hatte ich immer noch Kontakt zu Helmut Bantz, denn ich wollte unbedingt an der Deutschen Sporthochschule studieren. Ich habe in der Türkei sogar nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre studiert. Das hat mir auch später an der Sporthochschule geholfen. Das Abitur in der Türkei ist nach elf Jahre abgeschlossen, in Deutschland waren es 13 Jahre. Das heißt, es fehlten mir zwei Jahre. Da ich in meinem Betriebswirtschaftsstudium auch Prüfungen gemacht hatte und vier bis fünf Semester studiert habe, galt ich als Studienbewerber, obwohl mein Abitur ungültig war, konnte so ich voll immatrikuliert werden.
Und dann gab es diesen herrlichen Menschen an der Deutschen Sporthochschule – van der Schoot. Er hat dafür gesorgt, dass ich ein Stipendium über 150 Mark im Monat bekommen habe. Ich durfte auch sehr lange im Wohnheim leben, bis ich ein Zimmer auf der Aachener Straße fand. Jedes Mal beim Vorbeifahren gucke ich mir die Wohnung an, es ist sehr nostalgisch.
Um zu entscheiden, dass ich nach Köln gehe, brauchte ich erst ein Gespräch mit meiner Mama. Ich sprach in der Küche in Ankara mit meiner Mutter. Ich sagte: ‚Mama, ich bin vierzehnfacher türkischer Meister, ich habe zwei Mal die türkische Fahne auf der Brust getragen, einmal 1960 in Rom und 1962 bei der Turn-Weltmeisterschaft in Prag, aber ich habe keinen Cent in der Tasche.‘ Mama sagte: ‚Wenn ich etwas hätte, dann würde ich es dir geben.‘ Ich sagte: ‚Mama, du hast auch nichts! Ich bitte dich um deine Erlaubnis, um gehen zu dürfen.‘
Ich hatte zwei Geschwister, ich war der einzige Männliche. Also in der Regel bleibt der junge Mann im Orient zu Hause. Ich sagte: ‚Mama, ich will nach Köln.‘ ‚Aber was willst du denn in Köln? Du kannst kein Wort Almanca, du hast keinen Cent in der Tasche.‘ Ich sagte: ‚Mama ja, aber lass mich bitte gehen.‘
Und dann kam ich mit dem Gastarbeiterzug. 170 Mark habe ich damals für die Fahrt mit der Lokomotive bezahlt. Ich kam in Köln am 19. Juni 1965 an.
Das Geld für die Fahrt bekam ich von meinen Freunden und Bekannten. Jeder hat etwas getan und gesponsert. Aber als ich nach Köln kam, war die erste Übernachtung 70 DM ohne Frühstück, da wurde ich abgezockt.
Aber meine Rettung war immer wieder Halle 2, da habe ich geturnt. Ein Türke, der turnen konnte – das war eine richtige Attraktion.
An der Sporthochschule musste ich eine harte Aufnahmeprüfung machen. Bei der der praktischen Prüfung habe ich das Herz von Kurt Wilke gewonnen, das merkte ich. Wir mussten schwimmen, in einer Zeit von 1:35 Min. Ich Schwamm in 55,6 Sekunden. Wilke fragte: ‚Bist du Schwimmer?‘ ‚Nein, ich mache Gymnastik.‘ Dann gab es den Sprung vom Dreimeterbrett. Ich bin auf den Zehnmeterturm und machte einen Auerbach mit einer ganzen Drehung. Der Wilke ist fast gehüpft vor Freude.
Und dann kam der Abschluss, denn Ausländer mussten die deutsche Sprache beherrschen. Er sagte: ‚Herr Özer, machen wir es kurz. Lesen sie deutsche Zeitungen?‘ Ich sagte: ‚Ja, selbstverständlich!‘ Er fragte: ‚Was lesen Sie?‘ Ich sagte: ‚Spiegel.‘ ‚Ach, sie lesen den Spiegel? Was stand denn in der letzten Ausgabe, die Sie gelesen haben?‘ – Ich habe überhaupt nichts verstanden. Ich sagte: ‚Der Spiegel.‘ Wenn wir uns heute sehen, dann begrüßen wir uns immer noch mit ‚Spiegel‘. Ich sage dann: ‚Kurt, ich bin sogar abonniert.‘
„Ich bin in Bonn beim Friedrich-Ebert-Gymnasium gelandet. Aber ich musste noch den Probeunterricht bestehen, der wäre heute unvorstellbar. Da standen 70 Lehrer, schwarz angezogen mit Schlips in der Turnhalle. Ich hatte eine 9. Klasse und was habe ich gemacht? – Nur geturnt! Das werde ich nie vergessen. Mein Direktor war Herr Pöttgen, er war sehr begeistert von mir. Später war er für mich wie ein Vater. Ein oder zwei Jahre später sagte er zu mir: ‚Herr Özer, ich muss sie verbeamten.‘ Denn in meinem Vertrag stand immer noch, dass ich die Stelle verlassen muss, sobald ein vollwertiger Sportlehrer kommt. Und schließlich hat Herr Pöttgen mich verbeamten lassen.
Aber eines Tages kam Herr Pöttgen in die Turnhalle. Er sagte: ‚Herr Özer, Sie lassen alles hier stehen und liegen. Sie müssen sofort nach Düsseldorf in das Kultusministerium.‘
Ich sagte: ‚Wieso? Kann ich nicht morgen?‘ ‚Nein, sie gehen jetzt, man erwartet sie! Gehen Sie sofort.‘
Angekommen im Kultusministerium sagte man mir: ‚Sie sind Herr Özer? Was wir jetzt besprechen, das dürfen sie nur ihrer Frau erzählen, sonst niemandem, versprechen sie es mir.‘ Ich fragte: ‚Was ist?‘ Er sagte: ‚Herr Özer, wir haben Sie zur Anstellung verbeamtet – aber sie haben eine türkische Staatsangehörigkeit! Sie werden überall zum Titelbild – Türke wird verbeamtet. Sie müssen sofort die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Ich bitte Sie!‘
Dann ging ich zum Einwohnermeldeamt und bekam einen Stapel Papiere. Die musste ich dann Punkt für Punkt bearbeiten. Was glauben Sie, wie schwer es ist, ein deutscher Staatsbürger zu werden?“
„Im Jahr 2000 sollte Istanbul Olympia-Gastgeber sein. Aber dann hat Istanbul verloren und die Spiele gingen nach Sydney in Australien. Ich sprach mit meinen Schülern und sagte: ‚Ich hatte so sehr geplant, mit euch zu den Olympischen Spielen nach Istanbul zu fahren. Aber sie wurden leider nach Australien vergeben.‘
Und dann sagt ein Junge, der heißt Thomas, ich habe übrigens immer noch Kontakt zu ihm, er ist mittlerweile auch 45 Jahre alt: ‚Wo liegt das Problem, Herr Özer? Dann fahren wir nach Sydney!‘ Dann hat es für mich ‚peng‘ gemacht. Daraufhin habe ich von 1993 bis 2000 dafür gearbeitet, mit der Klasse nach Sydney zu reisen. Bonn war ja lange Zeit die Hauptstadt und nur wenige Hundert Meter von meiner Schule entfernt war die Australische Botschaft.
Im Bonner Generalanzeiger standen öfters Berichte. Ich habe eine Menge organisiert, Frühlingsfest für Sydney, Staffellauf, Fackellauf, Tanzwettbewerbe, dann sind sie auf mich aufmerksam geworden. Denn ich wurde eingeladen zur Presseabteilung von der Australischen Botschaft. Dort sagte man mir: ‚Herr Özer, Sie machen für uns Werbung! Was kann ich für Sie tun?‘ Ich sagte: ‚Haben Sie für mich einen Saal? Ich muss sonst immer Säle mieten.‘ ‚Natürlich, wir haben einen riesengroßen Saal!‘ ‚Kann ich dort etwas veranstalten?‘ ‚Natürlich, Sie können dort machen, was sie wollen!‘ Dann habe ich bestimmt zehn- oder fünfzehn Mal den Saal gemietet und Gäste eingeladen, mit einem Programm aus Bewegung und Vorführungen. Wenn man mit Herzen arbeitet, dann öffnen sich viele Wege.
Die anderen Lehrer haben gesagt: ‚Du bist bekloppt, es ist 1993 und in sieben Jahren willst du fahren?‘ Aber ich habe mich an der Idee festgekrallt.
Eines Tages bekam ich einen Anruf vom Direktor. Eine wohlhabende Frau möchte 5000 DM spenden, aber sie weiß nicht, wohin sie das Geld überweisen soll. Ich habe zum Direktor gesagt, das ist doch kein Problem, sie soll das Geld nicht mir überweisen, sondern dem Förderverein des Friedrich-Ebert-Gymnasiums. Das war eine Menge Geld, dann bekam ich eine Idee. Wenn wir so nach Sydney fahren, dann haben alle andere Kleidung an. Wir müssen einheitlich sein.“
„Ich wollte mit meinem Freund, der auch das gleiche Motorrad hat wie ich, um die Welt fahren. Meine Frau war dagegen, meine Söhne waren dagegen, meine Tochter war dagegen – alle waren dagegen. Meine Frau sagte: ‚Das erlaube ich dir einfach nicht. Was soll ich denn hier alleine machen?‘ Ich sagte: ‚Na, dann komm doch mit.‘ Natürlich kam sie nicht mit. Ich habe meine Frau noch nie mit auf dem Motorrad gehabt. Im Grunde genommen hat nie jemand hinter mir gesessen, weil die Verantwortung zu groß ist.
Und dann der Freund hat mir gesagt: ‚Pass auf, lass das mit der einjährigen Weltreise.‘ Er hatte eine tolle Idee. Du bist Olympionike, Olympia 2008 in Peking, dann fahren wir dort hin. Ich sagte: ‚Machen wir!‘ Und meine Frau war einverstanden und hat mir ihren Segen gegeben. Mit diesem Motorrad war ich in Peking im Deutschen Haus auf der Bühne. Der Chef des Deutschen Hauses fragte: ‚Ihr seid mit dem Motorrad gekommen? Wo steht das?‘ ‚Hier, vor deinem Haus.‘ ‚Zeig mal!‘ ‚Das gibt es doch nicht!‘ Und dann durfte das Motorrad in das Deutsche Haus rein. Dort war es natürlich gut, es gab Verpflegung und alles kostenlos – das Motorrad war meine Visitenkarte.“